Ursula Pidun


FAZ-Redakteur Michael Martens: „Im Heyne-Verlag wird unser Planet zur Scheibe“ (2)

FAZ-Redakteur Michael Martens im Interview mit SPREEZEITUNG zum Buch der ehemaligen Bundeswehrsoldatin Matijevic. Im zweiten Teil geht es um Dreistigkeiten des Heyne-Verlags, Meisterleistungen intellektueller Selbstverleugnung und die Frage, ob es noch mehr Beispiele gibt.

Der Journalismus ist im wahren Wortsinn also an markanten Stellen auf den Hund gekommen? Was sagen Sie – nicht nur als Journalist sondern auch als Kosovo-Experte – dazu, wenn Zuschauern und Lesern über anerkannte Medien vermittelt wird, deutsche Soldaten hätten im Einsatz vor Ort Hundefleisch essen müssen, da vermeintlich keine andere Nahrung vorhanden war?

Foto: Michael Martens

Eigentlich ist diese Geschichte dermaßen absurd, dass sie es nicht einmal wert ist, widerlegt zu werden. Alle Zeugen bestreiten das, außer den Veteranen auch der Menschenrechtler Rupert Neudeck, der damals im Kosovo war. Besonders dreist ist in diesem Zusammenhang das Verhalten des Heyne Verlages. Der Sachbuchchef des Verlages, Klaus Fricke, wurde zu den Veröffentlichungen in der „FAZ“, die strenggenommen nicht einmal Enthüllungen waren, weil sie nur auf das Selbstverständliche hinwiesen, vom „Spiegel“ befragt. In dem Interview geht es vor allem um die Frage, ob die Anschuldigungen gegen das Buch zutreffen. Fricke verneinte das und sagte, die „FAZ“ habe lediglich Personen befragt, die „eine andere Meinung“ zu den Geschehnissen haben. Die Behauptung, es gehe allein um Meinungen, ist grotesk. Welche Meinung haben Sie zur Schwerkraft?

Meine Bitte um eine genauere Spezifizierung der eingesehenen Dokumente blieb (nach einer verschwurbelten ersten Antwort) bis heute ebenfalls unbeantwortet…

Wahrlich eine Meisterleistung intellektueller Selbstverleugnung. Dass die Autorin im Kosovo war, ist für sich genommen doch kein Beweis! Der Verlag und die Autorin wurden mehrmals schriftlich darum gebeten, uns Ansprechpartner zu nennen, die die in dem Buch geschilderten Ereignisse bestätigen könnten. In dem Buch werden schließlich mehrere Zeugen für die Szenen benannt – nur in der Wirklichkeit waren sie dann wie vom Erdboden verschluckt.

Es gibt also nicht einen einzigen Zeugen?

Fest steht, dass weder Verlag noch Autorin bisher einen Zeugen genannt haben, obwohl es doch angeblich so viele gibt. Wer hingegen nach Personen sucht, die das alles für Unsinn halten, wird ohne Mühe sehr schnell sehr viele finden. Im Rahmen der Recherche kamen sogar so viele „Gegenzeugen“ auf mich zu, dass ich die meisten Aussagen ungenutzt lassen musste. Unter anderem meldete sich eine ehemalige Soldatin, die die Autorin persönlich aus dem Kosovo kannte und sich daran erinnerte, dass sie schon damals zur Mythomanie neigte. Diese Zeugen sind nicht irgendwelche Fabelwesen, sondern Menschen mit Namen und Adresse. Aber laut Heyne Verlag ist das nicht genug, denn es sind schließlich nur Menschen, die eine andere „Meinung“ haben. Auf diese Art ließe sich alles zur Meinungssache erklären.

Der Heyne Verlag leistet sich, was er sich leisten will?

Vermutlich darf man bei Heyne auch „Sachbücher“ darüber schreiben, dass unser Planet eine Scheibe sei, die Sonne sich um die Erde drehe und auf dem Mars kleine grüne Männchen leben – Hauptsache, man hat eine „Meinung“. Wenn dann ein Journalist in altmodischem Beharren auf den Tatsachen schreibt, dass die Erde keine Scheibe und der Mars nicht von grünen Männchen besiedelt sei, kommt das große Dementi des Heyne-Verlages im „Spiegel“: Der Journalist habe nur die Gegenseite befragt, er sei deshalb nicht glaubwürdig. Er hätte auch die grünen Männchen auf dem Mars interviewen, und diese wiederum hätten ihre Nichtexistenz bezeugen müssen, am besten schriftlich. Es ist schon erstaunlich, was demnach alles unter die Meinungsfreiheit fällt.

Gibt es weitere Beispiele?

Viele, und es ist eigentlich albern, sie aufzählen zu müssen. Deshalb nur ein Beispiel: Die mazedonische Provinzstadt Tetovo, wo die Autorin mit dem Truppentransporter gelandet und ihr kosovarisches Abenteuer begonnen haben will, besaß bisher keinen Flughafen. Jetzt hat sie aber einen, denn so steht es im Buch von Heyne. Schade, dass die Einwohner Tetovos nichts davon wissen. Aber ich vermute, der Flughafen von Tetovo ist einfach Meinungssache. Oder es hat etwas mit Religionsfreiheit zu tun. Jeder soll meinen und glauben dürfen, dass es in Tetovo einen Flughafen gibt. Das Buch strotzt vor solchen Details. Dennoch behauptet der Heyne Verlag, es sei absolut glaubwürdig. Das ist entweder impertinent oder dumm. Aber dumm sind die Verantwortlichen bei Heyne vermutlich nicht – jedenfalls nicht so dumm, wie man sein müsste, um das Buch allen Ernstes als Sachbuch zu verteidigen.

Krass wird es, wenn wir uns die Geschichte mit dem kleinen Jungen im Dorf zu Gemüte führen, die im Buch erzählt wird. Wenn wir das ebenfalls in Hinblick auf die Leichtigkeit der medialen Verbreitung betrachten, wird es gruselig. Es scheinen bei der in der Publikation erzählten Geschichte durchaus rassistische Tendenzen durch, die dann auch noch ungeprüft und ungeklärt in der Gegend herumstehen?

Ja, aber das ist nur Wenigen aufgefallen. Rupert Neudeck war einer von ihnen. Er war während des Kosovo-Krieges zuerst dort und leistete humanitäre Hilfe, später auch von Mazedonien und Albanien aus. Er kennt die Lage und hat im „Kölner Stadtanzeiger“ eine empörte Rezension über das Buch geschrieben, das er als „dämonische Fabel“ beschrieb. Ich halte das für eine gute Bezeichnung. Die Tiere in Matijevics Fabel sind die Einheimischen, die Albaner vor allem, die uns als böse, hasserfüllt und feindselig geschildert werden.

Mit entsprechend fürchterlichen Folgen?

Sicher, denn die Kosovo-Albaner sind damit, neben den Bundeswehrveteranen, die eigentlichen Opfer dieses Buches. Sie werden in einer verzerrten Weise dargestellt, die alle Klischees über sie noch verfestigen. Offenbar ist der Autorin nicht aufgefallen, wie menschenverachtend ihre Schilderungen wirken.

In einer Szene mokiert sie sich darüber, dass es bei der Bundeswehr Vorspeise, Hauptgericht und Nachtisch auf demselben Teller gab. Selbst wenn es so gewesen sein sollte: Wie egozentrisch muss ein Mensch sein, wenn er sich nach einer der schlimmsten kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, mit tausenden Toten und hunderttausenden Vertriebenen, darüber beschwert, dass auf seinem Teller die Götterspeise neben den Frikadellen liegt? Außerhalb des Lagers herrschte zwar Frieden, aber Hunderttausende standen im Wortsinne vor den Trümmern ihrer Existenz, vor den ausgebrannten Ruinen ihrer Häuser – aber Kameradin M. beschwert sich über das Essen. Ja, es muss schon hart gewesen sein bei der Bundeswehr – weit und breit keine Crème Brûlée, und auch der Espresso lässt zu wünschen übrig. Was soll man da noch sagen?

Genau das scheinen aber die Szenarien zu sein, auf die Medien gelegentlich abfahren, um Zeitungs- und Onlineseiten und auch Talk-Shows zu füllen…

Ich bin kein professioneller Medienkritiker und hege auch nicht die Absicht, es zu werden. Meine Vermutung ist, dass viele Kollegen in Online-Medien, noch mehr aber die Produktionsfirmen von Talkshows, unter einem enormen Leistungsdruck stehen. Diese Brabbel-Sendungen werden ja wöchentlich, in einigen Fällen sogar täglich gesendet, und Quote zählt offenbar bei öffentlich-rechtlichen Sendern nicht minder als bei den Sendern, die ihr Geld selbst verdienen. Kein Wunder, dass es da nicht möglich ist, sich auf jeden Gast vorzubereiten. Dann sollte man aber auch nicht so tun, als biete man seinen Hören oder Zuschauern ein Produkt mit besonderem Anspruch.
Wenn man aber, wie zum Beispiel Frau Böttinger im „Kölner Treff“, außer Vorabendserienschauspielern und solchen Leuten auch Gäste einlädt, die potentiell Hochpolitisches zu sagen haben, dann muss das entsprechend gehandhabt werden. Sonst wird es zur Gagparade: Der Kabarettist, der Starkoch und zum Schluss als besonderen Clou ein Holocaustüberlebender, der mit den Ohren wackeln kann. Die Journalisten, die Online-Angebote füllen und stündlich erneuern müssen, sind erst recht nicht zu beneiden. Man stelle sich vor, die Bild-Zeitung erschiene zehn Mal am Tag.

Haben Sie denn seit Veröffentlichung Ihres Artikels das Gefühl, dass jene Medien, die ggf. allzu eilfertig auf das Pferd Matijevic aufgesprungen sind, um ernsthafte Schadensbegrenzung bemüht sind? Oder wird einfach über die Sache hinweg geschaut, getreu dem Motto: Kommt Zeit, kommt das Vergessen?

Damit habe ich mich wenig beschäftigt. Wichtig ist mir, dass jeder, der im Internet nach dem Buch sucht, vermutlich auch auf die Zweifel stoßen wird, die es daran gibt. Es steht nicht mehr unwidersprochen im Raum wie zuvor.

Wenden wir uns abschließend noch dem Thema PTB-Syndrom zu, unter dem vermeintlich auch die Autorin Daniela Matijevic leidet. Bekommen Ihre kritischen Anmerkungen zu der benannten Publikation dann noch einmal eine ganz andere Dimension?

Ich habe es bewusst vermieden, in dem Artikel zu der behaupteten PTBS-Erkrankung der Autorin Stellung zu nehmen. Ob sie tatsächlich daran leidet, oder auch in diesem Fall nur eine Hochstaplerin ist, die sich vom Steuerzahler aushalten lässt, vermag ich nicht zu beurteilen. Allerdings habe ich den Eindruck, manch ein Psychiater kann das auch nicht.

Eine seltsame Rolle bei der Angelegenheit spielte ein Psychiater am Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg, ein Dr. Biesold, seines Zeichens angeblich führender PTBS-Fachmann. Seine öffentlichen Auftritte lassen allerdings nicht recht erkennen, welcher Art seine Kennerschaft ist. Er hat dem Heyne-Buch durch ein geradezu groteskes Nachwort und ein Interview in der „Welt“ gleichsam die Weihen wissenschaftlicher Anerkennung verliehen. Als ich ihm dann einige kritischen Fragen stellte, berief er sich dann plötzlich auf seine ärztliche Schweigepflicht, die seinen früheren Interviews offenbar nicht im Wege gestanden hatte. Dabei wollte ich ohnehin keine Detailfragen zur Behandlung seiner Patientin stellen, sondern nur wissen, ob er nie Zweifel an ihren Schilderungen gehegt habe – oder ob er der Ansicht sei, der Wahrheitsgehalt von Patientenschilderungen sei irrelevant.

Zweifeln Sie denn das PTBS, also das Posttraumatische Belastungssyndrom, bei der Autorin an?

Es mag sein, dass die Heyne-Autorin an PTBS erkrankt ist. Aber sie kann sich dieses Leiden nicht aufgrund der in ihrem Buch beschriebenen Erlebnisse zugezogen haben, denn die entscheidenden Szenen sind nachweislich erfunden. Dennoch bekommt sie jetzt, soweit ich das verstehe bis an ihr Lebensende, Geld vom deutschen Staat, also von der Gesellschaft. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier die Allgemeinheit in die Pflicht genommen wird, ist stupend. Manchmal frage ich mich, wie die Gutachten der Psychiater wohl ausfielen, wenn man sie an den Kosten beteiligte, die sie durch ihre Entscheidungen verursachen. Vermutlich sähen sie dann genauer hin.

Matijevic ist kein Einzelfall in Sachen PTBS von Soldaten, die im Balkan waren…

Natürlich, es gibt ja einige Soldaten, die aus dem Balkan mit PTBS zurückgekommen sind. Ich frage mich allerdings, was sie dort eigentlich erlebt haben können. Was war so erschütternd, dass sie nun nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, also für den Rest ihres Lebens der Allgemeinheit zur Last fallen müssen? Sicherlich nehmen die Menschen Dinge verschieden wahr, wie ja auch Schmerzempfinden subjektiv ist. Aber ist unsere Gesellschaft tatsächlich so verzärtelt, dass selbst ein harmloser Auslandseinsatz in Bosnien oder im Kosovo einen Soldaten aus der Bahn wirft?

Wenn es danach ginge, müssten Dutzende Reporter sich auch mit PTBS abmelden. Man hört aber selten oder eigentlich nie, dass Journalisten als PTBS-Opfer auftreten, denn sie haben das engmaschige soziale Netz nicht, das Bundeswehrsoldaten auffängt. Manche scheinen sich einfach einer Modeerscheinung anzuschließen. Es gibt die Möglichkeit, sich für den Rest des Lebens als PTBSler von der Mehrheit aushalten zu lassen, also macht man das dann wohl auch.

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*Nachträgliche Anmerkung von Michael Martens:
„Innerhalb kurzer Zeit haben mich viele Zuschriften erreicht, die fast alle denselben Tenor hatten: Während die Kritik an dem Heyne-Buch und seiner Rezeption auf Zustimmung stieß, wurden die Aussagen zur PTBS als kenntnislos bezeichnet. Ich fürchte, die Kritiker haben zum Teil Recht, denn die Aussagen sind in der Tat stark zugespitzt. Zudem ich bin kein Fachmann für solche Fragen, hätte mich also, meinen eigenen Kritik folgend, eigentlich dazu nicht äußern sollen. Keineswegs habe ich das Leid von PTBS-Opfern oder gar das Phänomen als solches in Abrede stellen wollen. Indes: Dass es AUCH Personen gibt, die auf einer PTBS-Modewelle surfen, ist ein Eindruck, den zu diskutieren sich meines Erachtrens lohnt. Der Fall M. scheint mir einen Anlass dazu zu bieten. Sollten Leute, die etwas davon verstehen, diese Diskussion nun führen, hätten die Zuspitzungen ihren Zweck erfüllt.

Interview-Wegweiser:zu Teil I und zu Teil II 

Das Interview führte Ursula Pidun

Source: Michael Martens (FAZ) über Qualitätsjournalisums