AfD – Kritisches Gedankengut zum Schaden unserer Demokratie
Im zweiten Teil unseres Interviews mit dem Publizisten Andreas Kemper zur neu gegründeten Partei "Alternative für Deutschland (AfD)" hinterfragen wir das in Teilen stringente Gedankengut führender Parteimitglieder. Darüber hinaus befassen wir uns mit der Frage, ob sich die AfD als Oberschichtenpartei definiert und welche Postion die Partei in Hinblick auf die bevorstehenden Bundestagswahl einnehmen könnte.
Andreas Kemper, Der Partei-Gründer Konrad Adam hat in einem relativ unbekannten aber spektakulären Beitrag unter dem Titel „Wer soll wählen?“ angeregt, Erwerbslosen und sogenannten „Inaktiven“ das Wahlrecht abzuerkennen. Was bedeutet ein solches Gedankengut für unsere Demokratie?
Konrad Adam hatte in seinem Artikel Bezug genommen auf eine Forderung André Lichtschlags, die schon lange von Hayekanern gestellt wird.
Hayek hatte im Kapitel „Der Wert der Freiheit“ seines Hauptwerkes gemeint, man könne vernünftigerweise argumentieren, denjenigen das Wahlrecht zu entziehen, die vom Staat bezahlt werden.
Adam schloss sich dieser Sichtweise an, und zwar in einer verschärften Form: man könne nicht, sondern man müsse heute so argumentieren, behauptete sein Vorredner und Adam fügte hinzu, dass es nicht sinnvoll gewesen sei, das Wahlrecht von Eigentum zu entkoppeln, da nun die Passiven die Aktiven bremsen würden.
Wie ordnen sie eine solche „Idee“ ein?
Mit unserer jetzigen Verfassung wäre es nicht vereinbar, einer bestimmten Bevölkerungsgruppe das Wahlrecht zu entziehen. Wahlen sind allgemein, das wurde gegen den Widerstand von monarchistischen und nationalliberalen Gruppen erkämpft. Abgesehen von der Verfassungsfeindlichkeit dieser Aussagen spricht aus ihnen eine unglaubliche Verachtung von Langzeitarbeitslosen.
Hat sich Konrad Adam von diesen Aussagen jemals wieder distanziert?
Mir ist nicht bekannt, dass sich Adam von dieser Aussage distanziert hätte.
Sie weisen auch darauf hin, dass auch Roland Vaubel, öffentlich darüber „nachgedacht haben“ soll, sogenannten „Unterschichten“ das passive Wahlrecht abzuerkennen. Können Sie das anhand einer Quelle bestätigen?
Roland Vaubel hingegen hat sich auf seiner Institutsseite von Aussagen distanziert, die ihm unterstellen würden, Unterschichten das passive Wahlrecht abzuerkennen. In der Öffentlichkeit ist die Passage aufgefallen, nachdem sie 2007 im neoliberalen Blog „Wirtschaftliche Freiheit“ unter dem Titel „Der Schutz der Leistungseliten in der Demokratie“ erschien. Dabei handelt es sich um eine kürzere Wiedergabe seines Beitrags „Ideen zu einem Versuch, die Tätigkeit des Staates zu begrenzen“ während einer Tagung von 2005 der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Ähnliches formulierte er aber bereits seit mindestens 1989. Ein Buchbeitrag von ihm begann mit den Worten: „Sozialpolitik kann […] einen Teil der Bürger schlechter stellen, um zugunsten anderer umzuverteilen. Ein Staat, der einen Teil seiner Bürger schlechter stellt, kann kein freiheitlicher Rechtstaat sein.“ (Vaubel 1989, 39).
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
In einer sehr extremen Weise werden hier Freiheit – im Sinne von unbegrenzter Profit- und Reichtumsmaximierung – und Gleichheit gegenüber gestellt. Sozialpolitik ist nur dann okay, wenn sie nicht der Profitmaximierung der Reichen im Wege steht. Vaubel bezieht sich in seinen Argumentationen auf einen Ökonomen aus dem 19. Jahrhundert (Knut Wicksell), der die Einführung des Parlamentarismus zwar begrüßte, aber unter dem Vorbehalt, dass über Steuerentscheidungen nur in „Einstimmigkeit und Freiwilligkeit“ entschieden werden dürfe, um die „Tyrannei“ der unteren Klassen zu verhindern.
Er ergänzte seine Idee, sogenannten „unteren“ Klassen das passive Wahlrecht zu entziehen, mit dem Hinweis: „Wussten Sie, dass auch unser Grundgesetz – Art. 137, Abs. 1 – Beschränkungen des passiven Wahlrechts (für Angehörige des öffentlichen Dienstes!) zulassen würde? “
In den Texten Vaubels fällt auf, dass er die Bevölkerung in „Bürger“ und „Tyrannei der Mehrheit“ unterscheidet. So sei durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union die „Freiheit der Bürger“, die Vertragsfreiheit, bedroht. „Vertragsfreiheit“ ist ein Paradoxon, da Verträge zunächst die Freiheit einschränken. Und Verträge können aufgrund von Machtverhältnissen diskriminierend oder arbeitsrechtlich bedenklich sein. Nicht zuletzt, um die Freiheit der Schwächeren zu schützen, stehen die Grundrechte über die Vertragsfreiheit.
Gibt es weitere Quellen, die seine Äußerungen untermauern?
Ja, so schrieb Vaubel 1989:
„Volksabstimmungen [können] dazu dienen, zumindest den Einfluß der Sozialpolitiker, der Sozialbürokratie und der Interessenverbände zu mindern. […] Eine zunehmende Zentralisierung oder Harmonisierung der Sozialpolitik – wie sie für den europäischen Binnenmarkt gefordert wird – würde […] den Mißbrauch der Sozialpolitik verstärken, die wirtschaftliche Malaise verschärften und den Verfall des freiheitlichen Rechtsstaates beschleunigen.“
Und in einer weiteren Quelle hieß es 2007 bei ihm:
„Gefährlich ist die direkte Demokratie jedoch dort, wo es um Fragen der staatlichen Umverteilung geht, denn der mittlere Wähler ist Umverteilungsgewinner. In der repräsentativen Demokratie ist die Tyrannei der Mehrheit schwächer, denn die Repräsentanten der Mehrheit können durch die Verfassung in ein System der Checks and Balances eingebunden werden. Volksabstimmungen würden die Umverteilung daher eher verstärken.“
Welche konkreten Schlüsse lassen derartige Äußerungen denn aus Ihrer Sicht zu?
Hieraus wird ersichtlich, dass es gar nicht um den Entwurf einer konsistenten Demokratietheorie geht, sondern um die Frage, wie sich eine selektive Demokratie entwickeln lässt, die dann zu unternehmerkonformen Ergebnissen führt. Hier gibt es eine Parallele zum selektiven Bildungssystem. Und es ist kein Zufall, dass Adam von der Bildungsunfähigkeit von türkisch-islamischen Arbeitersöhnen spricht und dabei das Klischee des Messerstechers benutzt, und dass Vaubel davon ausgeht, dass Bildungsaufsteiger die Volkswirtschaftslehre beeinträchtigen, weil sie verbal-logisch eingeschränkt seien.
Welche Parameter legt die AfD Ihren Recherchen zufolge zur Klassifizierung von vermeintlichen „Unterschichten“ an?
Die Sympathien für Sarrazin, die aus den Kommentaren der AfD-Facebookseite und aus Bekundungen von AfD-Repräsentanten wie Hans-Olaf Henkel, hervorgehen, lassen schlimmstes befürchten. Die sogenannte „Unterschicht“ scheint als Kostenfaktor und Bremsklotz wahrgenommen zu werden. Eine Reihe von Wirtschaftsprofessoren, die jetzt für die AfD kandidieren, hatte 2005 den „Hamburger Appell“ gegen Lohnerhöhungen und für weitere Einschnitte ins soziale Netz unterschrieben. Sie forderten auch eine weitere Verschärfung von HartzIV. Diese Gruppe von Marktradikalen dominiert die AfD auf allen Ebenen: Bernd Lucke, Alexander Dilger, Jörn Kruse, Joachim Starbatty, Roland Vaubel.
Es fällt auf, wie oft von Seiten der AfD das Wort „Rote Linie“ benutzt wird. Henkel setzte sich als Berater der Bank of America dafür ein, dass das sogenannte „Redlining“ wieder eingeführt wird. Arme Stadtviertel sollten mit einer roten Linie ausgegrenzt werden, deren Bewohner sollten generell als nicht-kreditwürdig markiert werden. Eine ähnliche „Rote Linie“ soll auch mit dem Nord-Euro und den Süd-Euro gezogen werden. Es geht darum, Arme auszugrenzen.
Haben Sie den Eindruck gewonnen, die AfD sieht sich im Gegenzug als Oberschichten-Partei?
Ja, mit zwei Einschränkungen. Zum einen hat ein Streit innerhalb der Unternehmerverbände über die EU-Politik zur Entstehung der AfD beigetragen. Die FDP und CDU/CSU vertreten die Interessen des mächtigen BDI, die Verbände der Familienunternehmer haben im Streit um die EU-Politik keine Interessenvertretung im Parlament. Der milliardenschwere Familienunternehmer August von Finck hatte bereits die DM-Partei Bund freier Bürger mit sechs Millionen DM und eine Kampagne des BürgerKonvent mit sechs Millionen Euro unterstützt. Der BürgerKonvent gehört jetzt zum Netzwerk Zivile Koalition der AfD-Kandidatin Beatrix von Storch.
Die andere Einschränkung: Eine Partei kann nicht nur die Interessen eines Teils der Oberschicht repräsentieren. Hinzu kommt also noch das Sarrazin-Potential, also gutsituierte, karriereorientierte Menschen mit Deklassierungsängsten. Sozialstrukturell gesehen repräsentiert die AfD in etwa die Bevölkerungsgruppen, die in der Weimarer Republik die Etablierung der NSDAP vorantrieben.
Welches weitgehend objektives Fazit zur AfD ziehen Sie nach Ihrer gründlichen Recherche und welchen Einfluss bemessen sie dieser Partei zum derzeitigen Zeitpunkt zu?
Die AfD basiert auf verschiedenen Netzwerken. Da gibt es die reichen Familienunternehmen, die sich durch BDI-Politik der CDU/FDP nicht mehr vertreten sehen. Parallel dazu gibt es Netzwerke von libertären, marktradikalen Volkswirtschaftsprofessoren, die mit ihren jahrzehntelangen Forderungen nach einer Niedriglohnpolitik nun in der Krise mit dem Rücken an der Wand stehen. Seit Jahren wird zudem am Aufbau einer rechtskonservativen Kampagenenstruktur, wie Konvent für Deutschland, BürgerKonvent oder Zivile Koalition gearbeitet. Und es wurde von Diskriminierungsforschern eine zunnehmende „Verrohung“ des Bürgertums festgestellt, womit die Sarrazin-Fans gemeint sind. Dies zusammengenommen ist die AfD-Basis.
Sie wird zerfallen, wenn ein Teilziel erreicht ist, nämlich ein angepeilter Rechtsruck in der CDU/CSU. Problematisch zum jetzigen Zeitpunkt ist jedoch, dass die AfD nicht nur die eigenen demokratiefeindlichen Positionen als demokratisch verkauft, sondern auch mit extrem rechten Magazinen wie die Junge Freiheit zusammenarbeitet und ihnen ein bürgerliches Mäntelchen umzuhängen versucht. Und gefährlich ist auch die „Demokratie als Mogelpackung“, wie Thomas Wagner dies bezeichnete, die von der AfD ausgeht.
Ob die AfD den Einzug ins Parlament schafft, ist ungewiss. Dies hängt wahrscheinlich davon ab, ob die Partei noch eine Finanzspritze erhält und/oder ob sie weitere prominente Personen für sich gewinnen kann. Die rechtskonservativen Netzwerke hinter der Partei werden jedenfalls bleiben.
Das Interview führte Ursula Pidun
Rechte Euro-Rebellion
Alternative für Deutschland und Zivile Koalition e.V
Broschiert: 96 Seiten
Verlag: Edition Assemblage (8. Juli 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3942885492
ISBN-13: 978-3942885492
Preis: Euro 9,80
Kommentierung unter Teil 1 möglich:
Vertritt die AfD demokratiefeindliche Postionen?