Klimapolitik: Technologieoffenheit nur eine Farce?
Mit dem Anstoß technologischer Innovationen auch im Automobilbereich will die Bundesregierung das Klima retten. Doch wie ist es um die viel gepriesene Technologieoffenheit bestellt? Schlecht, denn die bevorzugte Elektromobilität torpediert den Wettbewerb verschiedener Systeme. Eine Betrachtung von Peter Meißner.
Sieben Länder in der Welt sind für 63 Prozent der Klimaerwärmung verantwortlich. Deutschland rangiert auf Platz 7. Im Ranking der CO2-Belastung nimmt Deutschland in der Gesamtländerliste der Welt Platz 6 ein. Als wäre dies nicht der Rede wert, feiert sich die Bundesregierung als „Klimaschutz-Vorreiter“. Ist eine solche Ignoranz noch zu überbieten?
Ziele nicht im Ansatz erreicht
2018 stellte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Frage: Wie schnell kommt die Elektromobilität? Die Bundesregierung hatte sich dafür ein Ziel gesteckt: So schnell wie möglich! Sie treibt laut Business-Insider Deutschland die Elektromobilität sowie alternative Antriebe deshalb schon seit vielen Jahren voran. Genaugenommen mit 5,2 Milliarden Euro seit 2009.
Tatsächlich? Der aktuelle Marktanteil an Elektroautos in Deutschland beträgt laut eletrive.net gerade einmal 2,6 Prozent. In Norwegen liegt der Anteil bei 61 Prozent, in den Niederlanden sind es 9 und in China 4,7 Prozent. Von einem Marktanteil an Brennstoffzellenautos in Deutschland überhaupt zu sprechen, wäre kühn. Denn dieser liegt praktisch bei 0 Prozent. Allein Daimler bietet das für Deutschland einzige F-Cell-Fahrzeug an und dies auch nur zur Vermietung.
Die von der Bundeskanzlerin 2011 mit zweifelhafter Attitüde „verordneten“ Batterie-Autos in der Größenordnung von einer Million bis zum Jahr 2020 wurden laut KBA-Statistik Anfang 2019 nicht einmal zu 10 Prozent auf die Straße gebracht.
Und dennoch:
„Die Zukunft gehöre der Elektromobilität und diese werde im kommenden Jahrzehnt die einzige Technologie sein, mit der die Umweltgesetze in der Europäischen Union einzuhalten seien. Diese Ansicht wurde von VW-Chef Herbert Diess sowie von Daimler-Boss Dieter Zetsche und dem obersten BMW-Verantwortlichen Harald Krüger geteilt,“
publiziert Martin Murphy / Handelsblatt am 20.03.2019.
Auch Toyota bezieht Stellung:
„Dass VW-Chef Herbert Diess sich für ein Ende der Technologieoffenheit ausgesprochen hat und eine Fokussierung auf den reinen E-Antrieb gefordert hat, hält man bei Toyota nicht für den richtigen Weg. Wir setzten auf eine Technologieoffenheit, schließen keinen alternativen Antrieb aus“,
betont Ferry M.M. Franz, Leiter der Repräsentanz von Toyota in Berlin gegenüber dem electrified-Magazin.
„Technologieoffenheit“ – nur eine Sprechblase?
Auf Technologieoffenheit setzen – dies forderten bereits 2010 mehr als 30 Interessenvertreter aus Wirtschaft und Forschung, um angesichts der problematischen Umweltentwicklungen eine Faktenbewertung von Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Leistung von BEVs (Batterie), FCEVs (Brennstoffzelle), PHEVs (Hybrid) und ICEs (fossiler Treibstoff) über die gesamte Wertschöpfungskette zu entwickeln.
Ein für den Umweltschutz dringend notwendiger Weg im Bereich Mobilität. Wir waren also vor Jahren schon einmal weiter! Die im Jahr 2010 von der NOW GmbH im Ergebnis veröffentlichte wissenschaftliche Mobilitätsstudie stellte unter anderem fest, dass die international vorgegebenen und in der EU vereinbarten Klimaziele – unter anderem 40 Prozent CO2-Reduktion bis 2020 – nicht erreicht werden können.
Und zwar explizit dann nicht, wenn eine zielführende Entwicklung und Markteinführung von BEVs (Batterie), FCEVs (Brennstoffzelle) und PHEVs (Hybrid Plug-In) nicht vorangetrieben werden. Ausgegangen wird hierbei von einem Mix aus 25 Prozent FCEVs, 35 Prozent BEVs, 35 Prozent PHEVs sowie 5 Prozent ICEs (fossiler Brennstoff).
Wider besseren Wissens
Entgegen den in der Mobilitätsstudie von 2010 veröffentlichten Expertenmeinungen entschied Bundeskanzlerin Angela Merkel 2011 wie bereits oben erwähnt, dass im Jahr 2020 eine Million Elektro-(Batterie-) Autos unterwegs sein sollen und bekräftigte dies mehrfach auch in den Folgejahren. Ziel sei es, Deutschland zum Leitanbieter und zum Leitmarkt zu machen. Mit der Elektro-Batterie-Präferenz hat sie allerdings auch eine für einen solch komplexen Entwicklungsprozess einer alternativen Mobilitätsentwicklung ungewöhnlich einseitige Vereinfachung präjudiziert.
Damit schloss die Kanzlerin de facto nicht nur den praktischen Wettbewerb der verschiedenen Systeme aus, sondern paralysierte schlagartig die Wasserstoff-/Brennstoffentwicklung. Fortan befand sich H2 in Deutschland auf einem Abstellgleis mit personifiziertem Prellbock. Das entscheidende Kriterium der Wahrheit aber ist die Praxis. Und dies ist für ein Produkt noch immer der Markt. Welches der Systeme in welcher Quantität und Qualität Marktakzeptanz finden würde, hätte letztendlich allein die Praxis gezeigt. Nicht aber deren Ausschluss.
Ideologie gegen Pragmatismus
Batterie versus Brennstoffzelle: Ist angesichts der hinlänglich bekannten, signifikanten Umweltbelastungen und Rohstoffprobleme in der Wertschöpfungskette der Batterie einschließlich deren Ladeprozesse und Entsorgungskonsequenzen eine solche alternierende Fragestellung nicht eher blasphemisch? In der Gesamt-, – und nicht nur der Umwelt-Bilanz – relativiert sich schnell die viel beschworene Energieeffizienz der Batterie.
Der Experte Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Reitzle, damals Vorstands- heute Aufsichtsratsvorsitzender der Linde AG, der beim Thema Wasserstoff/F-Cell gewiss nicht flunkert und dessen Know-how sowie Intentionen der Bundesregierung vielleicht doch einmal einen Gedanken hätte wert sein sollen, erklärt bereits 2010 in der ADAC-Motorwelt (02/2010):
„Auf lange Sicht wird niemand an den Megatrends vorbeikommen. Und ein Megatrend ist, dass die ölbasierte Gesellschaft sich Schritt für Schritt zu einer umweltfreundlichen, CO2-neutralen Gesellschaft entwickeln muss und wird. Für Öl gibt es keine langfristige Zukunftsperspektive. Wasserstoff ist der Energieträger der Zukunft.“
Was sagt die Automobilindustrie?
Immerhin, in der Automobilindustrie kam Bewegung in das Geschehen. Daimler kündigte an, ab 2015 Brennstoffzellen-Pkw der B-Klasse in Großserie zu produzieren. Das war ein Durchbruch. Dank der deutschen Regierungspolitik (2011) dann doch nicht wirklich. Denn nicht Daimler, sondern Toyota startet 2015 die Großserie eines F-Cell-Autos („Mirai“). Ab 2020 ist eine jährliche Produktion von 30.000 Brennstoffzellenautos (Pkw) geplant.
„Toyota will führend bei der Mobilität der Zukunft sein,“
erklärte (Ferry M.M. Franz, Leiter der Repräsentanz von Toyota in Berlin.
Den Tod der Brennstoffzelle prognostizierte schließlich unter anderem auch die deutsche „Wirtschaftswoche“ und widmete ihr schon 2017 einen Nachruf:
Lange galt die Brennstoffzelle als zukunftsträchtigste Erfindung. Doch nun wird sie von der Autoindustrie zu Grabe getragen[…].
Das könnte ein Stück aus dem Tollhaus sein und erheblich umweltschädigend dazu. Der internationale Technologieführer in der Brennstoffzellentechnik (F-Cell) Mercedes-Benz hatte bereits im Jahre 1994 mit NECAR 1 die weltweit einzigartige Entwicklung des markttauglichen Brennstoffzellenautos begonnen. Bereits die Mobilitätsstudie 2010 konstatiert, dass nach zufriedenstellenden Tests in einem Kundenumfeld mit über 500 (Brennstoffzellen-) Autos und über 15 Millionen gelaufenen Kilometern sowie 90.000 Betankungen der Fokus von der Demonstration hin auf Planung des kommerziellen Einsatzes verschoben werden muss, um die EU-Klimaziele zu erreichen.
Deutschland und die Technologie-Wirklichkeit
China ist bekannt als Musterland der Elektro-/Batterie-Autos. Um Schäden durch einseitige technologische Entwicklungen im Mobilitätsbereich zu verhindern, werden inzwischen generell New-Energy-Fahrzeuge priorisiert. So soll es laut staatlicher Zeitung China Daily (11. April 2019) 5000 F-Cell-Fahrzeuge bis 2020, 50.000 bis 2025 und eine Million bis 2030 gemäß einem Regierungsprogramm der Zentralregierung geben.
Schließlich entwickelt auch die NASA gleich mehrere Generationen Brennstoffzellen für Ihre Raumfahrt-Programme von Gemini bis Apollo. Auch stellt die Brennstoffzelle für den U-Boot-Bau aktuell die fortschrittlichste Technologie dar. In der schwedischen Gotland-Klasse (seit 1996) verfügt U31 als erstes U-Boot der Welt über einen Hybrid-Antrieb aus Elektro- und Brennstoffzellentechnologie.
Und auch die von den Howaldtswerke-Deutsche Werft Kiel (HDW) entwickelten und seit 2003 gebauten Unterseeboote der Klasse 212 und Klasse 214 werden durch außenluftunabhängige Brennstoffzellensysteme angetrieben. Dass sich Norwegen als größter Ölproduzent Westeuropas das ambitionierte Ziel gesetzt hat, bis 2025 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen, sollte ebenfalls nicht einfach unter den Tisch fallen.
Das Problem im Ansatz nicht verstanden
Summa summarum ist es also in Deutschland zumindest derzeit noch äußerst schlecht um die viel gepriesene Technologieoffenheit bestellt. Vermutlich bringt es die 18jährigen Clara Mayer, Aktivistin der Fridays for Future-Bewegung, treffend und pragmatisch auf den Punkt. Auf der jüngsten VW-Hauptversammlung am 14. Mai 2019 richtete sie folgende Worten an Herbert Diess und die Aktionäre:
„Ihr habt das Problem nicht ansatzweise verstanden.“
Dass sich dies sowohl bei der Bundesregierung als auch in der Industrie zeitnah ändern wird, bleibt zu hoffen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Verweise:
Die Klimakrise und das Versagen konservativ-liberaler Politik
Zwischen Wohlstand und Zukunftsangst
Vollbremsung – Das Auto muss weg