Humboldts Liberalismus und das Subsidiaritäts-Prinzip
Der Begriff der Subsidiarität beschreibt das Prinzip, das Probleme auf der kleinstmöglichen Ebene gelöst werden sollen und nicht eine allmächtige Zentrale Kompetenzen an sich ziehen soll. Besonders prominent wird dieses Prinzip in der katholischen Soziallehre beschrieben. Betrachtungen von Dr. Gérard Bökenkamp.
In seinem Aufsatz „Humboldts Staats- und Gesellschaftsauffassung und das Subsidiaritätsprinzip“ hatte Siegfried Battisti eine Parallele zwischen der christlichen Soziallehre und den liberalen Positionen Wilhelm von Humboldts gezogen. Wilhelm von Humboldts Denken habe sich schon früh eher auf den Menschen gerichtet als auf den Staat.
Die Fähigkeit zur Freiheit
Freiheit war für Humboldt die notwendige Bedingung für die Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit. Die Freiheit sah er durch den Staat in vielen Bereichen gefährdet, da der Staat nicht an der Persönlichkeit des Menschen, sondern an seiner Nützlichkeit als Untertan interessiert sei. Die Fähigkeit zur Freiheit sah Humboldt aber in Abhängigkeit vom Bildungsstand des Volkes.
Die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft
Humboldt lernte auf seinem Bildungsweg schon früh die Idee des Naturrechts kennen und die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft. In die Gesellschaft trete der Mensch freiwillig ein, die Staatszugehörigkeit habe hingegen Zwangscharakter. Im Zusammenhang mit der Gesellschaft spricht Humboldt von Nationalvereinen, denen Menschen freiwillig angehören und in denen sie sich bilden. Bildung sei für Humboldt auch immer SelbstBildung gewesen. Der Staat solle auf die Aufgabe beschränkt bleiben, die äußere und innere Sicherheit zu garantieren.
Humboldts Interpretation
Battisti vergleicht nun Humboldts Position mit der der kirchlichen Enzyklika „Quadragesimio anno“ aus dem Jahr 1931, in der die katholische Kirche ihr Verständnis des Subsidiaritätsprinzip formuliert hat. Humboldt interpretiere das Subsidiaritätsprinzip in einem engen Sinne, da er die Grenzen des Staates ein für alle mal festlege. Von der katholischen Soziallehre werde die Aufgabe des Staates weiter gefasst. Hier bestehe durchaus Raum für staatliche Hilfe und Intervention. Im Einvernehmen befänden sich beide, wenn es darum gehe, dass Solidarität im Wesentlichen durch Eigeninitiative und Selbstverantwortung der Individuen und der kleinen Gemeinschaften zu gewährleisten sind.
Information
Siegfried Battisti: Humboldts Staats- und Gesellschaftsauffassung und das Subsidiaritätsprinzip, in: Jahrbuch für Liberalismusforschung, 6. Jahrgang 1994