Ex-„Stern“-Reporter Gerd Heidemann: NS-Recherchen führten zu Konsequenzen (3/4)
Gerd Heidemann, der in den 1950er Jahren als freier Fotoreporter begann und 1955 bis 1983 als Reporter für das Nachrichtenmagazin "Stern" tätig war, befasste sich auch intensiv mit NS-Recherchen und Reportagen über Alt-Nazis. So intensiv, dass es zu Spekulationen kam.
Heidemann habe – so wurde vermutet – insbesondere in Hinblick auf die vielen Treffen mit Alt-Nazis auf der ehemaligen Yacht Hermann Görings ernsthafte Begeisterung für die NS-Vergangenheit entwickelt. Heidemann hatte die Göring- Yacht erworben und mit großem Aufwand restaurieren lassen. In Teil III unseres vierteiligen Interviews berichtet Gerd Heidemann über brisante Recherchen zu Alt-Nazis, die stets zu ernsthaften Konsequenzen führten.
Einen relativ großen Teil Ihrer Arbeit machten auch NS-Recherchen und Reportagen über Alt-Nazis aus. War das der Grund, sich eigens die Yacht Hermann Görings – die „CARIN II“ – zu kaufen und umfangreich renovieren zu lassen? Oder gab es andere Gründe, warum Sie diese Yacht unbedingt haben wollten?
Der Kauf der früheren Göring-Yacht hatte eigentlich nichts mit meinen NS-Reportagen und Recherchen zu tun. Zwölf „Stern“-Redakteure beschlossen Anfang der 70ziger Jahre, einen Motorboot-Führerschein zu machen. Ich gehörte auch dazu.
Als die Schlußprüfung durchgeführt wurde, waren nur zwei übrig geblieben: Ulrich Bumenschein, der Leiter des Ressorts für Wissenschaft und Technik, und ich.
Wir beide bestanden die Prüfung, ich allerdings nur, weil ich drei Tage und drei Nächte durchgebüffelt und alle 300 Fragen, von denen ich mindestens 30 richtig beantworten musste, auswendig gelernt hatte. Denn wegen der ständigen Abwesenheit von Hamburg waren nicht nur meine Kollegen ausgeschieden, sondern auch ich hatte manchen Kursus-Abend versäumt.
Einige Jahre später fragte mich Ulrich Blumenschein, ob ich mir denn schon ein Boot gekauft hätte. Wenn nicht, wüsste er eins für mich. Jetzt erfuhr ich, dass der Ressortleiter, für den ich oft Flugzeugabstürze und unter anderem auch die Reportage „Runter kommen sie immer“ recherchiert hatte, so nebenbei auch Herausgeber der Yacht-Zeitschrift „Boote“ war.
Er erklärte mir, dass er den „Stern“-Kollegen Graudenz nach Oberwinter bei Bonn schicken wollte, der ihm für die Yacht-Zeitschrift einen Bericht schreiben sollte. Schließlich handele es sich um die ehemalige Motoryacht Hermann Görings, die nach dem Krieg über ein Jahrzehnt lang die Yacht der britischen Krone gewesen sei und sogar den Namen des Kronprinzen „Prince Charles“ getragen hätte. Diese Yacht hätte die englische Königin an Frau Göring zurückgegeben und diese hatte das Boot wiederum einem Bonner Druckereibesitzer verkauft, der es nun ebenfalls wieder für 160 000 DM verkaufen wolle.
Das war dann die Gelegenheit für Sie, zuzugreifen…?
Sicher, damals sagte ich zu Ulrich Blumenschein, dass man das Schiff nach Amerika weiter verkaufen könnte. Und ich fragte ihn: „Wollen wir es nicht gemeinsam kaufen und dann einen Käufer in Amerika suchen?“ Er fand die Idee anfangs sehr gut, aber bevor ich mit meinem Kollegen Graudenz nach Oberwinter abreiste, machte er einen Rückzieher, da ihm seine Frau von dem Kauf abgeraten hatte. Ich sollte aber das Schiff für den Bericht fotografieren.
Bei unserem Besuch an Bord des ziemlich heruntergekommenen Schiffes, gab es noch einen anderen Interessenten. Darum fragte ich kurzentschlossen den Eigner, ob er mir das Schiff verkaufen würde, wenn ich es in drei Jahresraten abzahlen dürfe. Er stimmte zu und auf einem Bogen Schreibpapier des Steigenberger Hotels in Bonn entwarfen wir den Kaufvertrag. Nun war ich zwar noch nicht der stolze Eigner dieser 27,5 Meter langen Dreischrauben-Motoryacht, durfte aber das Schiff einige Monate später nach Hamburg holen und mit der Renovierung beginnen. Nach und nach schleppte mir mein Kollege Jochen von Lang, der sich beim „Stern“ für Zeitgeschichte zuständig fühlte, einige frühere SS-Generäle und andere zeitgeschichtliche Persönlichkeiten an Bord, damit mir diese etwas über die Geschichte des Schiffes erzählen sollten.
Hat sich auch Henry Nannen für Ihre Neuanschaffung interessiert und Sie an Bord besucht?
Nannen, der ja ebenfalls Eigner einer Motoryacht war, wollte mein Schiff sehen und schloss mit mir sogar einen Buchvertrag zum Thema „Bordgespräche“ ab (HIER der komplette Vertrag). In dem musste ich mich verpflichten, weiter solche Personen der Zeitgeschichte einzuladen, das Schiff dafür in einen repräsentativen Zustand zu versetzen und es drei Jahre lang für diese Gespräche dem Verlag Gruner + Jahr zur Verfügung zu stellen.
Noch am selben Tag erhielt ich dafür einen Vorschuss von 60 000 Mark. Das war dann auch der Grund, warum ich in der Folgezeit immer wieder Generäle aus der NS-Zeit und ihre Gegner von einst auf das Schiff einlud und die Gespräche mit deren Genehmigung auf Tonband aufzeichnete. Aber immer wenn ich Zeit brauchte, um die Bänder abzuschreiben, schickte mich Nannen wieder in die Weltgeschichte hinaus, so dass das Buchmanuskript nie fertig wurde.
Da auch mein Kollege Jochen von Lang diese ehemaligen SS-Führer duzte, boten diese auch mir bald das Du an. Aber auch der ehemalige amerikanische Kommandant des Kriegsverbrecher-Gefängnisses von Spandau, Colonel Eugen K. Bird, wurde bald ein guter Freund und hielt auch nach der Hitler-Tagebuch-Affäre zu mir.
Es wurde und wird vielfach noch heute spekuliert, Sie hätten sich anlässlich solcher Recherchen und insbesondere in Hinblick auf viele Treffen mit Alt-Nazis auf der „CARIN II“ tief in die NS-Vergangenheit verstrickt. Deutlicher ausgedrückt, vermuteten und vermuten viele, sie hätten ernsthafte Begeisterung für die NS-Vergangenheit entwickelt und würden Sympathien dafür hegen?
Spekulieren kann man ja viel. Fakt ist, dass Recherchen in diesem Bereich nun einmal Kontakte erforderten. Was die NS-Themen betraf, so hatte ich ja bereits im April 1955, als ich noch freier Journalist war, einen Fotobericht über eine KZ-Sammlung unter dem Titel „Archiv des Grauens“ fertiggestellt. Meine Fotos erschienen am 23.April 1955 im „Hamburger Echo“ und in der Münchner Illustrierten, Ausgabe Nr.17/55. Ein Jahr später spürte ich in Lübeck den ehemaligen Oberreichsanwalt Ernst Lautz auf und fotografierte ihn. Nach der Veröffentlichung meiner Reportage im „Stern“ Nr. 5 vom 04.02.56, die unter dem Titel „Fürstlicher Lohn für des Teufels Anwalt“ erschien, wurde ihm die Pension um etwa die Hälfte gekürzt.
Anschließend berichtete ich über Lina Heydrich, die Witwe von Reinhard Heydrich, die elf Prozesse gegen die Bundesregierung führte. Diese Bildreportage erschien im „Stern“ Nr. 19 vom 12.05.56 unter dem Titel: „Für unser Geld!“ Quasi als Sport betrieb die Witwe des berüchtigten SD-Chefs Heydrich Prozesse um eine Rente.
Diese komplexen Recherchen führten also tatsächlich auch zu weiteren, ernsthaften Konsequenzen?
Ja, die Recherchen hatte durchaus weitreichende Konsequenzen. Beispielsweise erregte auch ein Bildbericht über den berüchtigten KZ-Arzt Professor Dr. Carl Clauberg großes Aufsehen und führte zu einem Ermittlungsverfahren. Denn es war mir gelungen, heimlich in das Kieler Gefängnis zu gelangen, Fotos von Clauberg zu machen und auch wieder hinaus zu gelangen, ohne dass es ein Justizvollzugsbeamter mitbekommen hatte. Daraus wurde „Der Fall Clauberg: Die Wunden werden aufgerissen. Nach 13 Jahren wird der Frauenarzt Professor Clauberg für seine Taten in Auschwitz vor einem deutschen Gericht stehen. „Veröffentlicht wurde dies im „Stern“ Nr.3 vom 19.01.1957.
Danach folgte ein Bericht im „Stern“ Nr. 20 des Jahres 1965 über die blutige NS-Vergangenheit des Wiesbadener Polizeichefs Oskar Josef Christ unter dem Titel: „Diesmal kein Händedruck. Die Vergangenheit des Wiesbadener Polizeichefs überschattet den Königin Besuch“. Christ musste deshalb sein Amt aufgeben. 1978 bat mich Erich Kuby, für den ich bereits die Fibag-Affäre und die Konsul-Weyer-Story recherchiert hatte, um Recherchen über den SS-General Jürgen Stroop.
Der hatte den Warschauer Aufstand niedergeschlagen und wurde für seine Taten von den Polen hingerichtet. Die Geschichte erschien im „Stern“ Nr. 43 am 10.10.1978 und trug den Titel „Protokoll aus der Hölle“. Anschließend musste ich mich auf Wunsch Erich Kubys, der mich deshalb von Henri Nannen angefordert hatte, monatelang mit Recherchen über Benito Mussolini beschäftigen. Wobei ich dann den Auftrag bekam, dazu alle ehemaligen in Italien stationierten SS-Führer zu befragen.
Und wann kam SS-General Wolff ins Spiel? Mit ihm sagte man Ihnen damals eine besonders enge Freundschaft nach.
Wolff kam anlässlich dieser intensiven Mussolini-Recherchen ins Spiel. Denn ich erhielt auch Informationen über die Flucht der Nazis nach Südamerika und schlug dieses Thema unter dem Arbeitstitel „SS-Export“ vor. Ich überredete den ehemaligen SS-General Karl Wolff mit mir nach Südamerika zu reisen, um mir dort die Türen bei den von mir aufzuspürenden SS-Flüchtlingen zu öffnen. Bei dieser Gelegenheit wollte ich auch nach Dr. Josef Mengele suchen und herausbekommen, ob Martin Bormann Berlin überlebt hatte und jemals nach Südamerika gelangt war.
Ist es zu dieser Reise dann tatsächlich auch gekommen?
Ja, ich trat die Reise im Juni 1979 an, nachdem ich zwei Monate zuvor noch in Uganda war. Dort hatte ich den Sturz des Diktators Idi Amin miterlebt und geholfen, die Leichen meiner ermordeten Kollegen zu bergen.
Und nur, weil sich im Laufe der Monate ein fast freundschaftliches Verhältnis zwischen dem damals 79-jährigen Karl Wolff und mir entwickelt hatte, bekam ich alle Informationen von ihm, die er bisher verschwiegen hatte. Darum war er auch bereit, gegenüber seinen ehemaligen Untergebenen für mich zu bürgen, so dass sie mir ihre Fluchtgeschichten erzählten. Und sie beichteten mir auch, für welchen westlichen Geheimdienst sie nach dem Krieg gearbeitet hatten. Klaus Barbie, der ehemalige SD-Chef von Lyon, versprach sogar, mich mit Dr. Mengele zusammen zu bringen. Er wusste allerdings damals noch nicht, dass Mengele im Februar 1979 beim Baden in Brasilien ums Leben gekommen war.
Daraus wurde dann ebenfalls eine spektakuläre „Stern“-Reportage?
Nicht sofort, sondern erst später. Denn nach meiner Rückkehr wollte die Chefredaktion des „Stern“ meine Reportage zuerst nicht veröffentlichen, weil man frühere SS-Leute nicht als Zeugen gegen die katholische Kirche benutzen wollte. Denn die Kirche hatte ja bei der Flucht vieler SS-Männer durch deren Unterbringung in italienischen Klöstern und der Ausstellung von Rot-Kreuz-Pässen geholfen. Außerdem erkannte man nicht die Bedeutung Klaus Barbies und so wurde das Interview mit ihm erst ein Jahr später in der „Stern“-Ausgabe Nr. 42/80 unter dem Titel: „Die neue Macht des alten Nazi“, veröffentlicht.
Obwohl mein Schiff dadurch an Wert verlieren konnte, entlarvte ich den ehemaligen Eigner Hermann Göring in einer „Stern“-Veröffentlichung einige Hefte vorher, wie er sein Lieblings-Jagdrevier im Urwald von Bialowieska von Luftwaffensoldaten „partisanen- und judenfrei“ machen ließ. Erschienen ist diese Reportage übrigens unter dem Titel „Der Menschenjäger“ im „Stern“, Ausgabe 37/80. Nachdem Klaus Barbie zwei Jahre später in die Hände der Franzosen gefallen war und in Lyon vor Gericht gestellt werden sollte, war mein Interview plötzlich die große Sensation. Unter dem Titel „Das Geständnis“ im „Stern“ Nr. 7 wurde es am 10. Februar 1983 abermals veröffentlicht und dann weltweit nachgedruckt.
Lesen Sie in Teil IV: „Journalisten sind immer nur so gut wie ihre letzte Geschichte“
Das Gespräch führte Ursula Pidun
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