Europawahl 2019: Sechs Fragen an Yanis Varoufakis
Der Wirtschaftswissenschaftler und Politiker Yanis Varoufakis führte als griechischer Finanzminister 2015 den Widerstand gegen die Sparpolitik und die Strategie der Bankenrettung der Europäischen Union und des Weltwährungsfonds an. In der Folge gründete er die Bewegung „Demokratie in Europa“ (DiEM25) und leitet heute MeRA25, die politische Partei von DiEM25 in Griechenland. Für die Europawahl 2019 ist er deutscher Spitzenkandidat von Demokratie in Europa. Sechs Fragen an Yanis Varoufakis.
Herr Varoufakis, Sie sind uns natürlich als ehemaliger griechischer Finanzminister bekannt. Im Mai werden Sie für Deutschland bei der Europawahl antreten. Welche Idee liegt hinter diesem Engagement?
Der Sinn, als Kandidat in Deutschland anzutreten, ist es, den Europäern zu signalisieren, dass es keinen Konflikt zwischen Nord und Süd, Deutschen und Griechen gibt. Dieses Europa braucht dringend eine systematische Lösung für unsere gemeinsame systemische Krise. Und dass dies einen transnationalen politischen Ansatz erfordert, einschließlich deutscher Kandidaten, die ein Mandat bei griechischen Wählern suchen und umgekehrt.
Sie stellen sich der bevorstehenden Europawahl als deutscher Spitzenkandidat von „Demokratie in Europa“ (DiEM25). Was können Bürger erwarten, die Ihnen und Ihrer Organisation die Stimme geben?
Sie können erwarten, dass wir, wenn sie uns ins Europäische Parlament schicken, in ihrem Namen realistische Politik vorschlagen werden – die keine weiteren Steuern erfordern -, um die Krise der niedrigen Investitionen in hochwertige grüne Arbeitsplätze wirksam anzugehen. Sie können von uns auch eine neue Art von Politik erwarten, die es den deutschen Bürgern ermöglicht, sich wieder in ein paneuropäisches Projekt einzubringen, das im Interesse einer Mehrheit der Menschen in jedem Land liegt.
Die immensen Probleme, die europäische Bürger hautnah erfahren, werden von europäischen Verantwortlichen nicht gerne angesprochen, so scheint es. Die Arbeitslosenquoten in Griechenland, Spanien und Italien etwa liegen noch immer sehr hoch und es gibt zusätzlich eine beträchtliche Jugendarbeitslosigkeit. Was müsste geschehen, um die Perspektiven der Menschen zu verbessern?
Das erste, was wir verstehen müssen, ist, dass wir uns alle in der gleichen Krise befinden. Der Grund für die hohe Jugendarbeitslosigkeit im Süden ist derselbe wie der Grund für die Nullzinsen im Norden (Zerstörung der Rentenfonds deutscher Familien). Wir müssen die Ursache dieser gemeinsamen Probleme angehen. Demokratie in Europa schlägt ein intelligentes paneuropäisches Investitionsprogramm vor, das die hohe Arbeitslosigkeit im Süden und die niedrigen Zinsen im Norden gleichzeitig bewältigen soll, ohne neue Steuern oder neue Institutionen und nach den bestehenden Regeln. Wir nennen es einen New Deal für Europa und sind stolz auf seine technische Raffinesse.
Auch die Finanzkise ist noch längst nicht gelöst. Welche Lösungsansätze machen aus Ihrer Sicht nachhaltig Sinn?
Der Finanzsektor ist zu mächtig und zu destabilisierend geworden, weil die EU-Politik einen ständigen Machtverschiebung von der Sozialwirtschaft zum Finanzsektor ermöglicht. Um diesen Prozess umzukehren, brauchen wir zwei Dinge: Erstens, um ungenutzte Einsparungen aus dem Finanzsektor für die Produktion von Ökostrom/Verkehr/Landwirtschaft zu nutzen. Zweitens, das innige Verhältnis zwischen den Schulden unserer Staaten und den spekulativen Praktiken der Banken aufzulösen.
Welche weiteren Blockaden gibt es, um Europa zukünftsfähig zu machen und lebenswert für alle Bürger?
Der Mangel an Demokratie. Demokratie ist kein Luxus. Es ist der einzige Weg, wie die Bürger ihr Leben, ihre Zukunft kontrollieren können. Heute haben wir demokratische Staaten ohne Macht und eine allmächtige EU-Bürokratie, die eine demokratiefreie Zone ist. Wir müssen die EU demokratisieren und gleichzeitig kompetenter machen.
Mit welchen Hoffnungen und Prognosen gehen Sie in diese Wahl?
Wir hoffen, dass die Bürger in den Vorschlägen von Demokratie in Europa eine Alternative sowohl zur Business-as-usual-Mentalität des Establishments als auch zur euroskeptischen Fremdenfeindlichkeit der extremen Rechten erkennen werden.
Weitere Infos zu Yanis Varoufakis
Bevor Yanis Varoufakis zum Mitglied des griechischen Parlaments gewählt wurde, lehrte er drei Jahrzehnte lang Wirtschaftswissenschaften an Universitäten in Großbritannien, Australien, den USA und Griechenland. Er hält einen Lehrstuhl in Wirtschaftstheorie an der Universität von Athen inne und ist Ehrenprofessor in Staatswirtschaftslehre an der Universität von Sydney sowie Ehrenprofessor für Rechts-, Wirtschafts- und Finanzwissenschaften an der Universität Turin. Außerdem ist Varoufakis Gastprofessor für Staatswirtschaftslehre am Londoner King’s College und Ehrendoktor der Universität von Sussex.
Er publizierte unter anderem die Bücher „Der globale Minotaurus: Amerika und die Zukunft der Weltwirtschaft“ (2012), „Time for Change: Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre“ (2016), „Das Euro-Paradox. Wie eine andere Geldpolitik Europa wieder zusammenführen kann“ (2016) und „Die ganze Geschichte: Meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment“ (2017).