Wohnraumnot: „Berlin kann nicht einzig ein riesiges Finanzprodukt sein!“
Maximale Wohnraumverknappung, exorbitante Mieterhöhungen, Eigenbedarfskündigungen und überzogene Modernisierungen nehmen auch in Berlin derartige Dimensionen an, dass es einer Vielzahl der Bürger reicht: Mit einem Volksbegehren soll nunmehr die erste Phase der Unterschriftensammlung für einen Volksentscheid zur Enteignung privater Wohnungsunternehmen wie etwa Deutsche Wohnen & Co. starten. Nachgefragt!
Enteignung ist ein scharfes Schwert, das in Ausnahmefällen auch hierzulande zur Anwendung kommen kann. Doch ist das in diesem Fall überhaupt zulässig, worum geht es tatsächlich, gibt es Alternativen und was ist geschehen, dass es überhaupt zu solchen Aktivitäten kommt? Nachgefragt: Im Gespräch mit Sebastian Roos, Gründungsmitglied der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“. Roos ist 41 Jahre alt und von Beruf Arzt. Als Mieter der Deutsche Wohnen ist er selbst von Modernisierung betroffen.
Herr Roos, aktuell, also Anfang April, soll das von Ihrem Verein initiierte Volksbegehren starten. Bleibt es bei diesem Termin? Immerhin rüsten die Wohnungsunternehmen zum Gegenangriff und haben ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Es soll die Zulässigkeit eines solchen Volksbegehrens überprüfen.
Ja, der Termin steht. Beginn ist der 6. April, der Tag, an dem auch die große Mietendemo stattfinden wird. In der Amtssprache heißt das „Antrag auf Einleitung des Volksbegehrens“; hierzu sind 20.000 Unterstützerunterschriften nötig. Ich denke, dass die Mietendemo da ein guter Startpunkt sein kann. Von dem Gutachten, das Frau Kern in Auftrag geben will, habe ich gelesen.
Anders als oft in den Medien dargestellt ist die Vergesellschaftung nach Art 15 GG etwas völlig anderes als eine Enteignung nach Art 14 GG. Während Art 14 regelhaft zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben angewandt wird, z.B. im Straßenbau, ist der Art 15 GG eine eigenständige Rechtsnorm. Hier ist die Vergesellschaftung der Zweck an sich. Der Sinn und Zweck lässt sich besonders gut verstehen, wenn man sich mit dem historischen Kontext beschäftigt, in dem das Gesetz entstanden ist. Wir denken, dass eine Vergesellschaftung möglich ist, wenn man sie politisch will.
Was hat das Fass derart zum Überlaufen gebracht, dass aus der Sicht der Mitglieder Ihres Vereins ein Volksbegehren erforderlich wird?
Die Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte ist eine lange Misere. Dabei hätten auch hier der Blick in die Geschichtsbücher helfen können. Ein Freund hat neulich seine Wohnung renoviert und Spuren eines Vorhangs gefunden, der einst sein Wohnzimmer in der Mitte teilte und dort hing, als wohl noch zwei Parteien diesen Raum bewohnten. Natürlich ist die Vergesellschaftung nicht aller Probleme Lösung und natürlich sind auch wir für den Neubau. Ganz entscheidend ist jedoch, wer baut und was er baut: wenn erst ein spekulativer Marktpreis entstanden ist, wird dort am Ende keine leistbare Wohnung stehen.
Stark renditeorientierte Unternehmen wie Deutsche Wohnen nehmen eine besonders schlimme Rolle ein. Deren Bestand sind fast ausschließlich ehemalige städtische Wohnungen mit günstigen Mieten, die aggressiv gesteigert werden sollen. Der Geschäftsbericht spricht dann von einem „Portfolio mit gutem Wertschöpfungspotenzial“. Ganz abgesehen von der unterlassenen Instandhaltung, mit der sich die Mieter herumschlagen müssen, wenn beispielsweise die Heizung wochenlang nicht geht.
Das heißt dann ganz konkret?
Die Deutsche Wohnen hat angekündigt 30.000 Wohnungen zu modernisieren. So schnell, wie der bezahlbare Wohnraum schwindet, kann kein Mensch neu bauen. Diese Unternehmen haben gar kein Interesse an einer guten Wohnraumversorgung, sind sie doch selbst die größten Profiteure der Knappheit. Renditedruck und Spekulation auf der einen Seite und Grundbedürfnis Wohnen auf der anderen – das passt einfach nicht zusammen. Der Wirtschaftswissenschaftler Heinz-Josef Bontrup, der sich eingehend mit der Deutschen Wohnen beschäftigt hat, nannte das Unternehmen „zum Wachstum verdammt“. Das bringt es auf den Punkt. Diese Unternehmen sind nicht reformierbar und als Marktteilnehmer auf dem Wohnungsmarkt völlig ungeeignet. Sie gehören abgeschafft.
Die Politik hat mit den zurückliegenden Privatisierungsmaßnahmen und den damit einhergehenden Verkäufen von Wohnraum maßgeblich zu dem Desaster beigetragen. Wird dies ausreichend aufgearbeitet und kritisiert – auch, um künftig solche Fehlentscheidungen zu vermeiden?
Der Umgang seitens der Politik mit den Investoren finde ich geradezu naiv. Wer das Geschäftsmodell verstanden hat, kann die Probleme vorhersehen. Es gab ja auch warnende Stimmen – die waren aber in der Minderheit. Wir haben uns lange Gedanken gemacht, wie wir dem Vergangenen Rechnung tragen können und dafür sorgen können, dass der vergesellschaftete Bestand nicht in der nächsten Krise veräußert wird. Deshalb sollen die Immobilien in einer Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) verwaltet werden. Dem Senat räumen wir dort Mitbestimmungsrecht, aber keine alleinige Entscheidungsgewalt ein. Ich finde, das trifft den Kern des Gemeineigentums oder der Gemeinwirtschaft, die in Art 15 gefordert ist, sehr gut.
Welchen Zeitraum würde denn ein solches Prozedere der Vergesellschaftung in Anspruch nehmen? Kurzfristige Entspannung am Mietmarkt ist doch auch damit nicht zu erwarten.
Mit einer Vergesellschaftung nach Art 15GG betreten wir juristisches Neuland und schreiben Rechtsgeschichte. Die Gegenseite wird natürlich Rechtsmittel einlegen. Der Ausgang ist offen. Aber paradoxerweise hilft uns das: für Anleger bedeutet dies ein schlecht kalkulierbares Risiko. Neulich gab es einen Artikel im Handelsblatt der sich mit den Problemen beschäftigt, vor dem Anleger in Berlin stehen. Zuvorderst werden das Volksbegehren und der Mietendeckel der Arbeitsgruppe um Eva Högl genannt. Der Analystenkommentar schließt mit der Empfehlung, nach dem ersten Quartal auszusteigen. Und das ist ein Novum. Die Stakeholder Befragung vor wenigen Wochen reflektierte das schlechte Image der Deutschen Wohnen als zentrales Problem. Wir helfen, die Schandtaten der Deutschen Wohnen sichtbar zu machen.
Wären drastische Mietobergrenzen, eine Stärkung der Mieterrechte sowie klare rechtliche Regelungen für Entschädigungen der Mieter, die mit eklatanten Wohnraum-Mängeln alleingelassen werden, nicht eine effektivere Hilfe?
Der Wohnungsmarkt ist ja insgesamt eine komplexe Angelegenheit mit vielen Stellschrauben. Das, was Sie nennen, wären alles sinnvolle Maßnahmen. Nur wer soll das denn bitte durchsetzen, wenn nicht die Politik?
Haben Sie es versucht und falls ja, mit welchem Erfolg?
Ich habe mich schon mit einigen Politikerinnen und Politkern unterhalten. Und das einhellige Fazit? Dass man im Prinzip nichts machen könne! Die Modernisierungsumlage, letztes Jahr noch bei 11%, ist ein Bundesgesetz (BGB) und für die Berliner Politik nicht änderbar. Für eine Bundesratsinitiative gab es keine Mehrheit, denn in vielen Gegenden Deutschlands gibt es diese Probleme, wie wir sie in Berlin kennen, nicht. Die Mietpreisbremse? Viele Ausnahmen, keine Sanktionen für Vermieter und in der retrospektiven Beurteilung bei Weitem nicht ausreichend.
Ich war bei einer SPD Veranstaltung, wo wir zusammen mit dem Staatssekretär für Stadtentwicklung und Wohnen über die Einführung einer Berlin weiten, kostenlosen Mietrechtsberatung als momentan mögliche Gegenmaßnahme gesprochen haben. Natürlich ist so eine Mietrechtsberatung was Gutes, aber ehrlich gesagt, habe ich da schon gedacht: draußen brennt’s und die Feuerwehr kratzt sich am Kopf… Ich rechne Herrn Scheel hoch an, dass er überhaupt gekommen ist.
Seit klar ist, dass es ein Volksbegehren geben wird und die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner für uns ist, hat sich der Diskurs ganz deutlich verschoben. Und das war mehr als überfällig. Katrin Schmidberger bezeichnete das Volksbegehren jüngst als „Notwehr der Mieter“. Eine ziemlich treffende Bezeichnung, wie ich finde.
Für Menschen, die aktuell keinen Wohnraum finden, bieten Aktionen, die viele Jahre dauern, keine Hilfestellung aus Notsituationen. Auch das Volksbegehren kann da keine schnelle Hilfe bieten…?
Man darf die Bestandsmieter nicht gegen die Menschen ausspielen, die eine Wohnung suchen. Und obwohl das Volksbegehren in erster Linie dem Bestandsschutz dient, profitieren doch beide Gruppen davon: Erstens dadurch, dass geplante Luxussanierungen verhindert werden, die das ohnehin schon knappe Angebot an bezahlbaren Wohnungen noch verkleinern. Günstiger Wohnraum bleibt somit erhalten. Zweitens: Wenn der Staat deutlich macht, dass er regulierend in den Markt eingreift, wird das die Goldgräberstimmung dämpfen.
Und generiert nachhaltig positive Effekte?
Ja, denn damit sinken auch die Grundstückspreise. Grundstücke, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Erwartung stetig steigender Preise noch zurückgehalten werden, würden eher verkauft und könnten zu moderaten Preisen vom Land Berlin gekauft durch landeseigene Unternehmen bebaut werden. Wenn der Quadratmeter Bauland 3000€ kostet, steht der Investor unter extremem Verwertungsdruck. Dort wird am Ende keine Sozialwohnung stehen.
Beschäftigen Sie sich abseits des geplanten Volksbegehrens mit weiteren Überlegungen und Aktionen, wie sich die Wohnraumsituation in Berlin schnell und mittels ganz konkreter Maßnahmen entspannen lässt?
Wir sind natürlich offen für Neues. Der Mietendeckel klingt ebenfalls interessant, wird aber keinen gemeinnützigen Wohnungssektor schaffen, der dauerhaft dämpfend auf die Mietpreise wirkt. Das ist der große Nachteil. Ich finde aber das wir etwas sehr Konkretes machen: Ein Volksbegehren mit dem Ziel der Vergesellschaftung nach Art 15GG – dazu gibt es ein klar geregeltes Verfahren mit definierten Stufen. Es liegt am Ende beim Senat ein entsprechendes Gesetz zu machen. Da wird der Senat Farbe bekennen müssen.
Wer sich die Eckdaten der Wohnungsnot ansieht, der muss doch schockiert sein: In einer Millionenstadt, in der 85% der Menschen Mieterinnen und Mieter sind, hat die Hälfte Angst sich die eigene Wohnung aufgrund von Mietsteigerungen innerhalb der nächsten 2 Jahre nicht mehr leisten zu können. Fast 80% haben Angst in Armut zu geraten. Ich habe das Gefühl, dass das gesamte Leben in der Stadt abgewürgt wird. Egal ob Kleingewerbe, Jugendklubs oder Kleingärtner – alle haben Angst. Eine Stadt, die so vielfältige Bedürfnisse erfüllen soll, kann nicht einzig ein riesiges Finanzprodukt sein!
Gibt es Parteien, die Ihr Vorhaben zum Volksbegehren der Enteignung großer Wohnungsgesellschaften begrüßen und unterstützen und falls ja, welche?
Grundsätzlich sind wir ein überparteiliches Bündnis von ganz verschiedenen Leuten und mittlerweile gibt es eine sehr große Anzahl von Organisationen und Verbänden sowie auch Einzelpersonen, die uns unterstützen und konkret mithelfen wollen. Prominentestes Beispiel ist wohl die Linkspartei. Viele Gruppen, von denen wir teilweise noch nie zuvor gehört haben, schreiben uns an und bieten ihre Hilfe beim Unterschriften sammeln an. Das finde ich einerseits toll, ist aber letztendlich auch Indikator für Ausmaß und Größe des gesamten Problems.