Ursula Pidun


Barschel – ein Fall der Superlative

Der Fall "Barschel" zählt wohl zu den spektakulärsten Kriminalfällen der Zeitgeschichte und konnte bis heute nicht geklärt werden. Der Spiegel-Redakteur Sebastian Knauer war 1987 mit Recherchen zu den damaligen politischen Ungereimtheiten befasst. Er war es auch, der im Genfer Hotel Beau Rivage den toten Uwe Barschel auffand. Knauer konnte der Öffentlichkeit später wichtige Originaldokumente aus den Ermittlungsakten präsentierten. Nachgefragt!

Knauer stellte 2009 mit seiner Veröffentlichung erstmals Originaldokumente der staatlichen Stellen in den wichtigsten Auszügen aus den Ermittlungsakten zur Verfügung. Möglich wurde dies, da die Ermittlungsarbeiten nach vielen Jahren endgültig abgeschlossen wurden. Knauer ist allerdings nicht nur Herausgeber der Dokumente, die er in seiner Publikation unkommentiert präsentiert und Ermittlungsarbeiten, gerichtsmedizinische Fakten, dubiose Waffengeschäfte, zweifelhafte Medienvertreter und das Innenleben einer Politikerfamilie in den Fokus rückt. Vielmehr geriet er auf dem Höhepunkt des Skandals selbst in den Sumpf eines Polit-Thrillers, der eigentlich in die Hände fantasiebegabter Krimiautoren gehört und nicht in die reale Welt politischen und medialen Schaffens. Knauer – damals noch für das Nachrichtenmagazin STERN tätig – war jener Reporter, der am Sonntagmittag des 11. Oktober 1987 im Genfer Hotel Beau Rivage den toten Uwe Barschel auffand.

„Der Versuch, ein Interview mit einem lebenden Barschel zu bekommen, endete vor seiner Leiche“, schreibt der Autor in einem Epilog zu seiner Publikation. Fotos vom toten Barschel, die Knauer damals vor Ort erstellte, gingen um die Welt und gaben Anlass zu heftigsten Diskussionen hinsichtlich der Veröffentlichung und ethischen Aspekten. Wie folgenschwer zudem Knauers Rolle als Zeuge dieser Tragödie wurde, lässt sich nur erahnen, denn er äußert in seinem Schlusswort auch: „Ich erlebte als Journalist, wie es sich anfühlt, selbst Opfer einer unfairen, diffamierenden und schlampig recherchierten Berichterstattung zu sein – eine heilsame Lektion.“ Nachgefragt: Im Gespräch mit Sebastian Knauer, SPIEGEL-Redakteur und Herausgeber der Publikation „Barschel – Die Akte“.

Sebastian Knauer, die Akte Barschel wurde geschlossen, nachdem über einen extrem langen Zeitraum in unzählige Richtungen ermittelt wurde. Leider ohne definitives Ergebnis, so bleibt Raum für weitere Spekulationen. Wie ist Ihre persönliche Einschätzung bezüglich der Todesursache? Deutet eher alles auf Selbstmord oder Mord hin? 

(Fotorechte: S. Knauer)

Beides ist möglich, so wie es auch zutreffend der Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft Lübeck dokumentiert. Allerdings ist schon erstaunlich, dass es in einem so wichtigen Fall den beteiligten Polizeien und Staatsanwaltschaften in Genf und Lübeck auch 30 Jahre nach den Ereignissen nicht gelungen ist, eine definitive Antwort auf diese Frage zu geben. Und darin liegt auch die Tragik für die Familie Barschel.

Der jüngste Sohn Christian Albrecht Barschel, der von einem Mord ausgeht, sagte mir: „Ich könnte mit jedem Ergebnis leben, das Schlimmste ist diese Unklarheit“. Zu einem Mord gehören Täter und Motive, beides liefert auch der leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Wille aus Lübeck nicht. Er spricht etwas nebulös von Verstrickungen des Ministerpräsidenten in Waffengeschäften der damaligen US-amerikanischen Iran-Contra-Affäre oder südafrikanischen U-Boot-Geschäfte in den Achtziger Jahre. Allerdings sei Barschel „nur am Rande“ mit Waffengeschäften befasst gewesen, sagt Wille. Diese vage Einschätzung halte ich für unbefriedigend. Denn sollte es ein Mord an einem amtlichen Geheimnisträger im Staatsauftrag gewesen sein, dann haben wir publizistisch noch eine große Enthüllung vor uns.

Wie sehr belastet Sie diese tragische Geschichte noch heute? 

Es ist ein Fall, der mich nicht los lässt. Als Journalisten haben wir auch die Pflicht unaufgeklärte Geschichten zu verfolgen und zu Ende zu recherchieren. Natürlich habe ich mich auch gefragt, ob ich etwas falsch gemacht habe. Wäre ich am Samstagabend in das Zimmer gegangen, hätte ich Barschel möglicherweise retten können. War es ein Suizid, so ist das eine ganz persönliche Entscheidung aus Gründen, die wir wohl nie erfahren werden.

Damals wollte Barschel – laut eigener Aussagen und Notizen – in Genf vermutlich mit einem Zeugen zusammentreffen, der möglicherweise Aufschluss darüber geben konnte, dass Barschel Opfer einer Intrige der übelsten Sorte geworden sei. Eine „raffiniert eingefädelte Intrige zwischen SPD, dem illoyalen, vom Springer-Verlag ausgeliehenen Mitarbeiter Rainer Pfeiffer und dem Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel“. Wäre so etwas überhaupt denkbar? Es hört sich abenteuerlich an. 

Nach neueren Erkenntnissen ist das weniger abenteuerlich als bisher vermutet. Ich verstehe nicht, warum die Staatsanwaltschaft bis heute nicht den bereits sehr gut recherchierten Spuren eines SPIEGEL-Informanten nachgeht. Es geht dabei um einen bislang unbeachteten „dritten Mann“, der bei der Ankunftsszene Barschels am 10. Oktober 1987 auf dem Flughafen Cointrin anwesend war und sogar zufällig fotografiert worden ist. (Anmerkung der Redaktion: Foto auf S. 269 der Dokumentation „Barschel – Die Akte“). Sollte es sich bei diesem Mann im Trenchcoat wirklich um den mutmaßlichen Ministerialdirigenten aus einem damals Bonner Bundesministerium handeln, das auch in den deutsch-deutschen Beziehungen eine wesentliche Rolle spielte, dann ist seine Anwesenheit in Genf aufklärungsbedürftig. Insbesondere, da der Sohn dieses Mannes offenbar in dem sogenannten Bremer Fälschermilieu, zu dem Barschel-Mitarbeiter Reiner Pfeiffer enge Kontakte hatte, bekannt ist.

Sollte sich die Identität des Dritten Mannes bestätigen, haben wir eine neue Situation im Kriminalfall Barschel. Dann könnten die letzten handschriftlichen Notizen des Uwe Barschel in Zimmer 317 über das Treffen mit dem mysteriösen Robert Ro(h)loff am Flughafen Genf doch der Wahrheit entsprechen. Mit einer persönlichen Einschätzung ob Suizid oder Mord halte ich mich zurück. Es kommt auf die belastbaren Beweise und Akten an, deshalb auch dieser Dokumenten-Band.

Für die Bürger dieses Landes wirkt ein solcher Skandal, wie es ihn um die Person Barschel gab, völlig abstrus. Dennoch passieren politische Skandale durchaus immer wieder. Ist das einer mangelnden Transparenz geschuldet, die wir hier in der BRD traditionsbedingt noch immer ziemlich ausschweifend pflegen?

Was ist ein politischer Skandal? Es geht immer um Macht, Einfluss und meistens um Geld, vor allem aber darum, die Öffentlichkeit über bestimmte Regelverstöße zu täuschen. Transparenz ist eben nicht gewünscht bei den Akteuren. Deshalb ist eine starke unabhängige Presse, die von den Verlegern entsprechend ausgestattet wird, für die Demokratie überlebenswichtig. Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat dem Thema „Skandale in Deutschland seit 1945“ eine ganze Ausstellung gewidmet. Danach bezeichnet das griechische „skándalom“ ein unter Spannung stehendes Stellhölzchen für eine Tierfalle. Die Spitzbuben müssen wissen, dass sie in die Falle gehen können. Der Barschel-Pfeiffer-Skandal hat sicher politisches Vertrauen dauerhaft beschädigt. Aber die heutigen Skandale um das Verhalten von Landes.- sowie Immobilienbanken und ihrer Manager in der Wirtschaftskrise oder die Korruptionsaffäre bei Siemens beschädigen ebenso das Gemeinwesen.

Es wird wohl nicht möglich sein, jemals zu erfahren, was damals zwischen SPD und CDU tatsächlich alles abgelaufen und passiert ist. Die Rolle des vom Springer-Verlag ausgeliehen Medien-Referenten Pfeiffer wirft allerdings ziemlich unbequeme Fragen auf. Wurden die damals überhaupt in ausreichendem Maße gestellt und zu welchen Konsequenzen kam es denn besonders auch in Hinblick auf die Rolle der Medien? 

Wie gehen Sie als Journalist mit einem Informanten um, der Ihnen ungeheuerliche Dinge erzählt? Sie prüfen die Quellen, versuchen weitere Quellen ausfindig zu machen, checken seine Angaben vorbehaltlos mit allen möglichen Mitteln. Im Fall Pfeiffer haben die SPIEGEL-Kollegen alles mögliche getan um in einer sehr frühen Phase unter hohem Zeitdruck seine Angaben zu überprüfen. Pfeiffer legte vor einem Notar Eidesstattliche Versicherungen zu seinem Behauptungen ab. Er hat auch ein stattliches Honorar bekommen, da seine berufliche Existenz als illoyaler Verräter am Ende war. Alles keine Garantie, dass seine Erzählungen stimmten. Aber der damalige SPIEGEL-Chefredakteur Erich Böhme entschied unter sorgfältiger professioneller Abwägung des Risikos: drucken. Ich denke zurecht.

In vielem wurde Pfeiffer bestätigt, in manchem widerlegt. Dass er selbst ein Mit-Täter der schmutzigen Tricks war und es unbekannte Verbindungen zur SPD gab, ist durch die Untersuchungsausschüsse belegt worden. Aber die politische Verantwortung in der Staatskanzlei lag letztendlich bei Barschel. Konsequenzen für die Medien: der Wettlauf um exklusive Informationen und Informanten ist härter geworden. Gutes journalistische Handwerk ist deshalb -mehr denn je- gefragt.

Damals, am 11. Oktober 1987, hat sich Ihr Leben völlig verändert? Sie wollten Barschel interviewen, stattdessen fanden Sie seine Leiche. Und sie fotografierten den toten Barschel. Jeder waschechte Journalist hätte es wohl getan. Man hat Ihnen die Fotos später allerdings im Sinne eines unethischen Verhaltens vorgeworfen. Obwohl Sie ja für die Veröffentlichung der Fotos selbst gar nicht zuständig waren? 

Es gab vor Drucklegung in der STERN-Redaktion natürlich heftige Debatten: darf man das oder nicht. Der damalige Chefredakteur Heiner Bremer hat schon angesichts der Falschmeldungen, dass Barschel sich erschossen habe, für eine Veröffentlichung aus Gründen der journalistischen Aufklärung entschieden. Es wäre heuchlerisch nicht auch zu sagen, dass damit der STERN gute Auflage machte, es wurde mit 1,8 Millionen der am besten verkaufte Titel. Dem Vorwurf unethischen Verhaltens muss ich mich stellen und habe auch Verständnis für die Kritik. Nur: was wüssten wir heute über die Abläufe am 10/11. Oktober in Genf, wenn nicht Journalisten recherchiert hätten? Zudem ist das Todesbild aus Zimmer 317 aus meiner Sicht das Dokument eines tragisch aus dem Leben geschiedenen Menschen und Politiker in friedlicher Position. Die später von der Familie herausgegebenen Fotos aus der Obduktionsakte sind viel schrecklicher. Ich hätte sie im Interesse der Familie sicher unter Verschluss gehalten.

In Ihrer Dokumentation führen Sie an erlebt zu haben, wie es sich anfühlt, selbst Opfer einer unfairen, diffamierenden und schlampig recherchierten Berichterstattung zu sein. Was genau ist vorgefallen? 

„Widerlich, abscheulich, kriminell, unmenschlich“, waren einige der Attribute, die ich auch in renommiertesten Wochenzeitungen über mich lesen musste. Trotz besseren Wissens aus den Ermittlungsakten wurde meine Rolle bei der Recherche im Hotel Beau Rivage von Kollegen bösartig verdreht. So lauteten die Vorwürfe, dass ich nicht rechtzeitig die Hotelleitung über die Entdeckung der Leiche informiert hätte, dass ich keine erste Hilfe geleistet hätte, dass ich den Telefonapparat in Zimmer 317 benutzt hätte und es den Ermittlern verschwiegen hätte. Am gravierendsten war der öffentlich geäußerte Vorwurf ich hätte die Lage der Leiche verändert und aus dem Wasser gezogen, um sie besser fotografieren zu können. Als Beweis wurden die nassen Haare Uwe Barschels angeführt. In den Ermittlungsakten steht, dass in den Lungen kein Wasser gefunden wurde, insofern war der Kopf zu keinem Zeitpunkt unter Wasser.

Sich presserechtlich gegen solche interressengeleiteten Falschaussagen zu verteidigen ist aufwendig und teuer. Deshalb war ich heilfroh mit Gruner +Jahr , in dem der STERN erscheint, eine großes, potentes Haus hinter mir zu haben, das meine rechtlichen Interessen wahr nahm.

Und welche heilsame Lektion haben Sie daraus gewonnen?

Presse hat eine große Macht. Damit ist sorgfältig umzugehen.

Ist Ihre Dokumentation „Barschel – Die Akte“ für Sie auch eine Form der weiteren Abarbeitung der Geschehnisse, die vermutlich extrem einschneidend waren?

Wenn das Buch einen Beitrag dazu leistet den Fall Barschel doch noch aufzuklären, wäre ich zufrieden.

Sie möchten damit auch die Menschen im Land erreichen, die fassungslos vor solchen Auswüchsen stehen, wie sie die Barschel-Affäre geboten hat? Sozusagen als Beweis dafür, dass zumindest alles getan wurde in Sachen Aufklärung, wenn die hinter der Tragödie stehende Geschichte schon eine glatte Zumutung ist? 

Aufklärung: ja – neue Verschwörungstheorien: nein.

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Barschel – Die Akte
Originaldokumente eines ungelösten Kriminalfalls
Sebastian Knauer

ca. 480 Seiten
15 x 23 cm, Broschur
ISBN: 978-3-936962-56-7
Euro 24,80 / SFr 40,00

Source: Sebastian Knauer fand den toten Uwe Barschel auf.