Ursula Pidun


Ist die Bundestagswahl schon entschieden?

Über Deutschland liegt ein Schleier der Ruhe. Das liegt nicht nur an der Urlaubszeit. Eingelullt in der Gewissheit, die kommende Bundestagswahl sei längst entschieden, machen sich Langeweile und Lähmung breit. Wo bleibt das Feuerwerk der Ideen und der Enthusiasmus einer Aufbruchstimmung in Richtung Zukunft? Nötig haben wir es allemal.

Ist die Bundestagswahl schon entschieden? (Foto: Bernd Leitner / Clipdealer.de)

Umfrageinstitute und Medien geben ihr Bestes und inszenieren die bevorstehende Bundestagswahl 2017 als einen Selbstläufer. So orakelte die FAZ bereits Mitte Juni auf der Grundlage eines wissenschaftlich erhobenen Prognosemodells, CDU und CSU könnten bei der Bundestagswahl im Herbst mit einem deutlichen Sieg rechnen. Sogar die Ergebnisse liegen schon bereit. Demnach erhalten CDU/CSU 35,1 Prozent. Die SPD hingegen muss sich mit 26,1 Prozent begnügen. Auch Telepolis, ein Onlinemagazin des Heise Zeitschriften Verlags, fackelt nicht lange herum und verkündete erst vor wenigen Tagen:

„Die Deutschen wollen Merkel und die Union. Schulz und die SPD werden keine Chancen haben bei der Bundestagswahl, die Zukunft wird schwarz getönt sein.“

Grundlage dieser Behauptung liefert FORSA. Etwas vorsichtiger tappst der Stern medial durch die Gegend. Verängstigt stellt das Magazin die schier unfassbare Frage: „Angela Merkel – wer folgt auf die ewige Kanzlerin?“. Doch schnell rudert das Blatt angesichts einer derart vorlauten No-Go-Frage zurück und relativiert:

„Die Personal-Palette, die in der CDU für diese Aufgaben zur Verfügung steht, ist recht übersichtlich.“

Die Kanzlerin selbst, so wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, richte sich politisch ebenfalls überwiegend nach aktuellen Umfrageszenarien aus. Die aalglatte Wendigkeit kann ein machtvolles Erfolgsrezept sein. Vorbild vieler Medien in Sachen Hellsichtigkeit mag auch der Bund sein, der „im Stillen“ vermeintlich hundertfach die Meinungsforscher beauftragt. Tatsache oder Fake? Angesichts des Hypes um Erhebungen, Vorhersagen & Co. wäre jedenfalls mehr Vorsicht geboten. Nicht erst seit der Wahl des amerikanischen Präsidenten oder dem Brexit liegen Experten aus dem kommerziellen Umfragemilieu demoskopisch komplett daneben. Genau genommen gehören ständige Verlautbarungen von vermeintlich hieb- und stichfesten Umfrageergebnissen in die Abteilung Wahlbeeinflussung. Vielleicht sind sie deshalb so beliebt.

Um festzustellen, dass noch alles offen ist, braucht es keine hellseherischen Fähigkeiten. Der Wähler, da gibt es einen breiten Konsens, ist und bleibt das unbekannte Wesen. Mitunter vollzieht er (wie unsere Kanzlerin) abrupt und schroff eine komplette Kehrtwende. Gründe, um der viel gelittenen Alternativlosigkeit die Stirn zu bieten, gibt es allemal. Etwa in Hinblick auf die nicht gelöste Flüchtlingskrise, Wohnraumnot in Ballungszentren, Rentendesaster und Lösungsansätzen hinsichtlich unserer modernen Arbeitswelt.

Stichworte hier sind Arbeitszeitverkürzungen als logische Folge des erzielten Fortschritts und die Einführung eines Grundeinkommens zwecks Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Beides sind Zukunftsprojekte, für die sich ein Kampf lohnt. Bei den etablierten Parteien stoßen diese Themen jedoch auf so wenig Interesse, wie Lust auf einen echten Wahlkampf besteht. Wo also bleibt das Feuerwerk der Ideen und der Enthusiasmus einer Aufbruchstimmung? Noch bleibt Zeit für Bewegung. Die Bundestagswahl ist noch längst nicht entschieden.