Mangel an Empathie wird zur Geißel unserer Zeit
Wie mag die Menschheit in 100 Jahren über uns denken? Angesichts einer in weiten Teilen durchgesetzten neoliberalen und eiskalten Gesellschaftsform, die sich nicht nur hierzulande, sondern europaweit etablieren konnte, ist das eine spannende Frage. Eine Betrachtung von Ursula Pidun.
Wie mag die Menschheit in 100 Jahren über uns denken? Diese Frage wird sich der eine oder andere selbstkritische Bürger möglicherweise stellen. So manche Protagonisten in Politik, Wirtschaft und Medien halten sich mit diesbezüglichen Prognosen weitgehend zurück. Verständlich, angesichts einer in weiten Teilen durchgesetzten neoliberalen und eiskalten Gesellschaftsform, die eine selbstsüchtige Klientel, nicht nur hierzulande, sondern europaweit etablieren konnte.
Ein Armutszeugnis für dieses Zeitalter
Mit dem Kampfbegriff „neoliberal“ allein lassen sich die teils haarsträubenden Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre allerdings nicht erklären. Unsere inzwischen erstarrte, frostige und weitgehend wirtschaftsgelenkte Gesellschaft ist Ergebnis einer Politik, die Neutralität zunehmend aus den Augen verliert und Interessen zu einseitig bedient. Gekennzeichnet wird dieses Zeitalter etwa von einem weiterhin bestehenden Niedriglohnsektor, der den globalen Wettbewerb sichern soll. Der soziale Raubbau im Bereich Renten macht sprachlos und die fortlaufenden Leistungskürzungen bei gleichzeitig steigenden Sozialabgaben stimmen mindestens nachdenklich. Dubiose Zeit- und Werkverträge, die Arbeitnehmer ausbeuten und eine Arbeitsmarktreform, die nach wie vor Teile des Strafrechts impliziert, bleiben trotz erkannter Defizite bestehen. Menschenunwürdige Zustände in Alten- und Pflegeheimen, beschönigte Statistiken und eine sich immer weiter aufblähende Bürokratie offenbaren eine traurige Bilanz. Reformen werden zu Garanten eines aggressiven Rückbaus längst erarbeiteten Fortschritts: So sieht Regieren in der ersten Dekade des 21. Jahrhundert an.
Ein Potpourri aus gezielten Lobbyinteressen und politischen Ideologien, umklammert von einem in weiten Teilen unsoliden und maroden Finanzsystem steuert uns in die Zukunft. Eine Zukunft mit vermeintlich nie enden wollendem Wachstum – für wen und mit welchem gesellschaftsrelevanten Ziel? Wer hinterfragen möchte, wie es so weit kommen konnte, kommt an Diagnosen wie etwa einem uferlosen Egoismus gepaart mit einem eklatanten Mangel an Empathie nicht vorbei. Negativeigenschaften, die ein Abdriften der Gesellschaft in unhaltbare Zustände, Unsicherheit und Armut führen und extremen Ansichten und Parteien zunehmend in die Hände spielen.
Härten und Zumutungen – aber nur für die anderen
Einfühlungsvermögen und der Wunsch nach Partizipation und Teilhabe auch für den Mitmenschen und nicht nur für sich selbst, führen zu ausgewogenen gesellschaftlichen Verhältnissen und einem stabilen sozialen Frieden. Eigentlich sollte das jeder verinnerlichen, der in politischer oder gesellschaftlicher Verantwortung steht. Doch genau daran mangelt es in diesen Zeiten. Der Bürger der heutigen Zeit wird bis in die Tiefen des Privatlebens fremdbestimmt, technokratisch und möglichst kostengünstig regiert und dies unter maßgeblicher Beteiligung von Wirtschaft und Finanzsystemen. Härten und Zumutungen betreffen in der Regel nie jene, die sich die als „Reform“ getarnten Programme ausdenken und sie den Bürgern „alternativlos“ überstülpen.
Politik agiert interessengesteuert. Gefühlsduseleien haben hier nichts zu suchen. Gefühlskälte und Egoismen allerdings auch nicht. Es ist die Gratwanderung zwischen Professionalität und Menschlichkeit, die im Ergebnis nicht selten an der Unfähigkeit zur Empathie und einem Mangel an Fähigeiten scheitert. Das Beispiel Griechenland steht bis heute für diese These anschaulich Pate. Hier wurde eine humanitäre Katastrophe billigend in Kauf genommen, um Forderungen durchzusetzen, die in weiten Teilen absurd und wenig schlüssig sind. Verfassungsrechtlich nicht autorisierte EU- Abgesandte regieren auch weiterhin bis in das griechische Parlament hinein und zerstören selbst bewährte gesellschaftliche Strukturen. Begleitet wird das Prozedere von einer konzertierten Stammtischkommunikation, wonach „DIE Griechen“ aufgrund ihrer vermeintlichen Faulheit und Neigung zur Korruption selbst schuld an Ihrer Misere sind und anderen EU-Bürgern „etwas wegnehmen“. Kein Wort hingegen davon, dass mit den EU-Finanzhilfen in erster Linie deutsche und französische Banken „gerettet“ werden und nicht zuvorderst das notleidende griechische Volk.
Das Verhalten macht stumpf und unbeteiligt
Ein unverantwortliches Spektakel, das sich auch in anderen Bereichen, wie etwa der derzeit praktizierten Flüchtlingspolitik fortsetzt. Das Massengrab im Mittelmeer und die zurückliegenden Flüchtlingsströme führen nicht etwa zu einer kollektiven Anstrengung der EU, das Problem unverzüglich und vor allem gemeinsam anzugehen und menschenwürdige Lösungen zu finden. Vielmehr werden die EU-Festungsmauern noch höher gezogen und die Abschottungsmaßnahmen drastisch verstärkt. Mangelnde Empathie führt damit zur Katastrophe hinter der Katastrophe. Auch in Hinblick auf Schreckensszenarien wie etwa Terror, Krieg und Brutalitäten ist der Mangel an Empathie der kausale Hintergrund. Die Unfähigkeit, sich in andere Menschen und deren Leid und Schicksal hineinzuversetzen – dieses Phänomen breitet sich immer weiter aus, mit fatalen Folgen. Ein solches Verhalten macht stumpf und unbeteiligt und führt dazu, das Recht allein für sich zu pachten und nur den eigenen Interessen und Vorteilen, maximal noch den Ideologien eines gleichgesinnten Verbundes nachzueifern.
„In unserer Kultur sind die am erfolgreichsten, die am meisten von ihren Gefühlen und der Fähigkeit zum Mitgefühl abgeschnitten sind“,
behauptet der Schriftsteller und Psychoanalytiker Arno Gruen.
Höchste Zeit, dies zu ändern und unsere kulturellen Ansprüche zu überdenken. Auf dem Weg dorthin stellen sich Fragen: Danach etwa, ob die Fähigkeit zur Empathie angeboren ist und ob sie unter bestimmten Umständen verloren geht? Lässt sich Empathiefähigkeit womöglich trainieren? Antworten hierzu könnten der Schlüssel sein, um den Kreislauf der Unterdrückung, Gängelung, Erniedrigung, des Terror und des Leids, aber auch des Machtmissbrauchs, den wir auf immer erschreckendere Weise erfahren, nachhaltig zu durchbrechen.
Das Bild sagt viel, zum Beispiel, daß der Mann keine Arbeit sucht, sondern von der Arbeit gefunden werden will.
Zum Thema der fehlenden Empathie.
Das stimmt und stimmt aber auch nicht.
Warum stimmt es?
Weil es richtig ist, daß wir wirklich immer öfter an Menschen, wie diesem auf dem Bild, vorbei gehen, ohne emotional berührt zu werden und Anteil zu nehmen.
Warum stimmt es nicht?
Weil wir durch das Sozialsystem und die Steuern schon etwa 2/3 unserer Leistung in einen Sozialen Topf schmeißen, was wirklich sehr empathisch ist, wenn auch nicht ganz freiwillig. Leider ist es so, daß diese Empathie von einigen Wenigen ausgenutzt wird, die sich fürstlich aus den sozialen und steuerlichen Töpfen bedienen, sodaß es nicht mehr bei den wirklich Hilfebedürftigen ankommt.
Fazit
Wenn man sein Ego schon zu 2/3 zugunsten der Gemeinschaft aufgibt, dann finde ich, ist das irgendwann auch mal genug. Ich mag es ganz und gar nicht, daß man den einfachen Menschen schon wieder ein schlechtes Gewissen einreden möchte, sie seien nicht empathisch genug. Wie empathisch soll man denn bitte noch sein? Zu 100% ? Also alles Geld abgeben und vom Staat und den Sozialinstitutionen umverteilen lassen? Man sieht ja wie gut das klappt.
Das was da gerade stattfindet, geht weniger auf Kosten der mangelnden Empathie der meisten Menschen, sondern ganz klar auf Kosten einiger Weniger, für die auch zig Milliarden. Privatvermögen noch nicht genug sind, und weiter raffen, und es durch ihre Raffgier immer weiter den Armen entziehen, weil in einer endlichen Welt nun mal keine echte Vermehrung, sondern nur Umverteilung möglich ist.
Es wäre genug für Alle da, wenn da nicht Einige wären, die einfach nie genug bekommen können. Ich würde also sagen, das Sozialverhalten aus gesetzlich verordneter Pflicht, hat die echte Empathie auf dem Gewissen, und nicht der einzelne Mensch. Der leidet selbst darunter, weil er so weder Herr über seine Emotionen, noch seinen Leistungen, und dem wieder verteilen derselben ist. Es hätte nie dazu kommen dürfen, daß Steuern und Sozialabgaben für Unternehmer bei geschickter Führung quasi freiwillig sind, für Arbeitnehmer jedoch per sé Pflicht sind. Darüber hat eine gigantische Umverteilung der Potenz stattgefunden.
Schönen Gruß aus Bremen
@Grummel
Wäre mir auch gerade fast so mit ihrem Kommentar so gegangen,…, wollte schon loslegen,…
Entschuldigung angenommen, ist ja eh schön, wenn bei Ihnen der Blutdruck noch so gut funktioniert.
😉
Hallo Argonautiker,
an Ihrem Kommentar sieht man sehr schön wie das mit dem Empathie abgewöhnen funktioniert.
Alleine die Tatsache das für Sie Mitgefühl und Verantwortung gegenüber einer Gemeinschaft mit Geld gleich gesetzt ist spricht Bände. Eine Co-Konditionierung die Sie einmal reflektieren sollten.
Geld und soziales Handeln/Fühlen ist nämlich nicht das gleiche, auch wenn dieser Spin oft benutzt wird um asoziales Handeln „alternativlos“ zu rechnen… bei der Gelegenheit könnten Sie auch recherchieren was mit Selbstoffenbahrung im Kontext eines Kommunikationsmodel gemeint ist.
Betreffend Ihres Sozialneids sollten Sie sich einmal vor Augen führen in welcher Größenordnung „wir“ die Profite von Kapitalgesellschaften/Banken alternativlos durch „Hilfspakete“ fördern, wohlgemerkt zu deren persönlichem Gewinn, weder aus Empathie noch aus sozialer Verantwortung alleine gerechtfertigt mit dem „to big to fail“ der Drohung eines Systemversagens.. seit der Finanzkrise.
Noch eine Anmerkung, Größenordnungen umfassen Zehnerpotenzen ..
Noch zum Abschluss sollten Sie vielleicht über das egoistische Element im Altruismus nachdenken. Denn rein von der empathischen (oder auch nicht) Seite gesehen … Wenn ich Not leide und mir steigt jemand dazu noch mit ihren Argumenten aufs Kreuz und drückt mich in den Dreck… erwarten Sie im umgekehrten Fall keine Solidarität, dann werden Sie auf die harte Tour lernen müssen welche Rolle eine intakte Gemeinschaft beim Überleben spielt (oder auch nicht).
Ich entschuldige mich … hatte nicht zu ende gelesen, da ist bei mir schon der Blutdruck hoch ..
Die kalte neoliberalte Politik ist doch vor allem in DE vorherrschend. Ich kann das in anderen EU-Ländern nicht in diesem Ausmaß beobachten.
Aber es liegt auch am Volk, dass bei uns derartig ungerechte Zustände herrschen:
Leute am unteren Ende der Hierarchie gehen nicht zur Wahl, informieren sich nicht über Wahlprogramme. Die Linke wird abgelehnt, weil man dummerweise meint, die sei gleichzusetzen mit der SED.
Das Unglück ist auch ein bisschen selbstgemacht. Die Leute mucken nicht auf, höchstens in Foren, wenn man sie mit Dumpinglöhnen abspeist, die Untertanenmentalität ist noch immer vorhanden.
In FR sowie in vielen anderen europäischen Ländern wäre Hartz IV einfach nicht durchzusetzen gewesen.
Hinzu kommt, dass bei uns die schlimmsten Lumpen verantwortungsvolle Posten in der Politik einnehmen können – Leute ohne Qualifikation für ihr Amt.
Warum wird hier nicht eine promotiverte Volkswirtin wie Sarah Wagenknecht geschätzt. In FR würde die mit Sicherheit in der obersten politischen Liga mitspielen.
Langer Rede, kurzer Sinn: wir sind keineswegs nur Opfer. Wir hätten vieles in der Hand, wenn wir mal bereit wären, Verantwortung für unser Wohlergehen zu übernehmen und uns zu informieren.
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