Größter Überwachungsskandal der Geschichte bleibt völlig konsequenzlos
Seit rund einem Jahr wissen wir von dem bisher größten Ausspäh-Skandal der Geschichte. Wer darauf hoffte, dass es zu Konsequenzen auf politisch höchster Ebene kommt, um die verfassungsrechtlich geschützten Bürgerrechte zu verteidigen, sieht sich maßgeblich getäuscht.
Am 6. Juni 2013, also vor rund einem Jahr, trat der Whistleblower Edward Snowden mit brisanten Dokumenten über die Arbeit der amerikanischen und britischen Geheimdienste NSA und GCHQ an die Öffentlichkeit. Genau so lange mauern politische und verfassungsrechtliche Instanzen, anstatt eindeutig Stellung zu beziehen. Viel Eifer, den Schutz unserer Grund- und Freiheitsrechte zu verteidigen und möglichst weiter zu stärken, haben verantwortliche Politiker und auch die Justiz damit nicht an den Tag gelegt.
Ein Statement mit vielen Fragezeichen
Eine in der vergangenen Woche bekanntgegebene Entscheidung von Generalbundesanwalt Harald Range, er wolle wegen des Handys der Kanzlerin ermitteln, nicht jedoch in Hinblick auf die Ausspähung von Millionen Deutschen, spricht Bände. Es stellt sich zwangsläufig die Frage, ob die Interessen des Volkes diesbezüglich noch angemessen vertreten werden. Es geht um die Beschädigung der Freiheits- und Bürgerrechte und es geht darum, dass dies auf politischer Ebene hingenommen wird.
Es geht um Angriffe auf die Demokratie
Es geht vor allem auch um Edward Snowden, der Asyl in Deutschland verdient hätte, aber wohl nie erhalten wird. Dabei hat Snowden getan, was zu tun ist, wenn Bürgerpflichten ernst genommen, Rechte der weltweiten Zivilbevölkerung geschützt und demokratische Verhältnisse verteidigt werden müssen. Er stand in der Pflicht und er hat sie erfüllt. Ohne ihn würden wir uns noch immer in der trügerischen Sicherheit wiegen, unsere Freiheits- und Bürgerrechte seien unantastbar. Abwiegen, Taktieren und Abwehren – so lautet die Devise bis hin zu Instanzen in Karlsruhe. So müssen wir wohl davon ausgehen, dass auch die Bundesanwälte genau Bescheid wissen – ohne etwas dagegen zu tun.
Wenig hilfreiche Instrumente
Profitable Erkenntnisse durch (an sich illegitime) Ausspähungen ohne jegliche Verdachtsmomente sowie die Sorge um den Erhalt der freundschaftlichen Beziehungen zu den Amerikanern mögen die Gründe sein. Doch rechtfertigen sie tatsächlich die Aufweichung der Freiheits- und Bürgerrechte? Wer das Desaster rund um dem Untersuchungsausschuss verfolgt, hegt wenig Hoffnung, dass sich maßgeblich etwas ändern könnte. Schnell wird klar, dass sich selbst dieses Instrument als wenig hilfreich oder gar zielführend erweist. Zu einer Aussage Snowdens vor Ort in der BRD wird es nicht kommen. Inzwischen lehnt auch Justizminister Maas eine Befragung des Whitsleblowers in Deutschland ab.
Piraten beklagen „kaum zu überbietende Verdrängungsleistung“
Politische Parteien winden sich und scheuen es, eindeutig und konsequent Stellung zu beziehen und den Grundrechten jenen Stellenwert beizumessen, der ihnen zweifelsfrei zusteht. Einzig die Piratenpartei drückt sich unmissverständlich aus und bewertet das Vorgehen insbesondere der Bundesregierung und der angeschlossenen Dienste anlässlich des Jahrestags als enttäuschend und vor allem als demokratiegefährdend.
„Mit Blick auf ein Jahr Überwachungsskandal attestieren wir der Bundesregierung und den angeschlossenen Diensten eine kaum noch zu überbietende politische Verdrängungsleistung, was den massenhaften Verstoß gegen wesentliche Grund- und Freiheitsrechte der zivilen Bevölkerung weltweit betrifft. Im Wahn des digitalen Rüstungswettlaufs gelingt es den Freunden der systematischen und anlasslosen Überwachung offensichtlich, auch zu verdrängen, dass sie mit ihrem Gebaren nichts weniger als die Demokratie aufs Spiel setzen“,
erklärt Caro Mahn-Gauseweg, stellvertretende Vorsitzende der Piratenpartei.
Statt sich weiter vor der Frage zu drücken, wie die Grundrechte und die Demokratie auch in der digitalen Welt geschützt werden sollen, fordern die Piraten endlich politische Schritte. Diese müssen auf mindestens fünf Ebenen stattfinden. Denn die Enthüllungen von Edward Snowden haben mindestens fünf große Fragen aufgegeben:
„Erstens: Die Technologie Internet
Eine technische Infrastruktur, die es nicht leisten kann, Menschen, die sie nutzen, vor Überwachung und Ausspähung zu schützen, muss ganz grundlegend in ihrem Aufbau und ihren aktuellen Funktionsweisen in Frage gestellt werden. Das Internet, so wie wir es kennen, ist kaputt. Wir brauchen ein eine neue, überwachungsresistente Infrastruktur und effektive Verschlüsselungstechnologien. Beides muss staatlich gefördert werden.
Zweitens: Die Gesetzgebung und die Eingriffsbefugnisse von Sicherheitsdiensten in unsere Grundrechte
Mit dem Internet haben sich unsere Gesellschaft und die technologischen Grundlagen unserer Kommunikation fundamental geändert. Der gesetzliche Rahmen für die Eingriffsberechtigungen der Dienste ist mit diesem digitalen Wandel nicht mitgewachsen. Er baut immer noch auf den alten Regeln der leitungsgebundenen Telekommunikation auf, obwohl unsere digitale paketvermittelte Telekommunikationswelt ganz anders funktioniert. Hier muss die Gesetzgebung nachziehen, um Bürger auch in Zukunft vor unzulässigen Eingriffen in ihre Grundrechte zu schützen.
Drittens: Die Akteure der Überwachung und die Zukunft der Geheimdienste
Nach einem Jahr Überwachungsskandal wissen wir, dass niemand so genau weiß, was die Geheimdienste tun. Sogar die Mitglieder der G10-Kommission, die die Geheimdienste kontrollieren sollen, fühlen sich nach eigener Aussage nicht wirklich informiert. Doch nicht genug: Über den internationalen Ringtausch von Daten mit anderen Geheimdiensten umgehen Geheimdienste zudem auch regelmäßig nationale Gesetzgebungen. Unter diesen Bedingungen ist ein wirksamer Schutz der Grundrechte nicht möglich. Arbeitsweisen, Sinn und Schranken der Geheimdienste wurden im vergangenen Jahr jedoch nicht einmal wirksam thematisiert.
Viertens: Die Medien als vierte Macht und die Zukunft des investigativen Journalismus
Investigativer Journalismus ist auf den Schutz seiner Quellen angewiesen. Das ist mit einem überwachten Netz nicht mehr möglich. Umfassende Überwachung ist auch auf dieser Ebene demokratiegefährdend. Insbesondere beim Thema “Datenklau” sind Medien und Öffentlichkeit auf Whistleblower angewiesen, da Daten nicht physisch verschwinden, sondern kopiert werden, und es daher für Betroffene nicht sicht- und bemerkbar ist.
Fünftens: Zivilcourage und der Umgang mit Whistleblowern in einer Demokratie“
Mahn-Gauseweg führt weiter aus, dass das Gesicht des NSA-Skandals der Whistleblower Edward Snowden sei. Ihm habe man die aktuellen Erkenntnisse über die Geheimdienstarbeit des NSA zu verdanken.
„Obwohl er einen großen Verdienst für die Demokratie erbracht hat, ist ihm der Schutz seiner Person verwehrt. Er steckt aktuell in Moskau fest, da bisher niemand für seine Sicherheit sorgen möchte. Doch ist eine Gesellschaft noch eine Demokratie, wenn sie mit unliebsamen Wahrheiten über sich selbst nicht mehr umgehen kann?“
Die PIRATEN setzen sich für folgende politische Ziele ein:
- Eine staatliche Förderung für den Aufbau einer überwachungsresistenten IT-Infrastruktur
- Eine staatliche Förderung von Verschlüsselungstechnologien für sichere Kommunikation
- Den Stopp jeder Form von anlassloser Überwachung und die Schaffung einer Grundrechteagentur, die alle bestehenden Überwachungsbefugnisse einer Revision unterzieht. Neue Überwachungspläne sollen bis zum Abschluss der Untersuchungen auf Eis gelegt werden.
- Den Stopp aller Abkommen für Datenaustausch auf internationaler Ebene
- Ein internationales Freiheitsabkommen analog zu internationalen Abrüstungsabkommen
- Eine rasche Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung ohne weitere Absenkung des Datenschutzstandards
- Einen Untersuchungsausschuss auf europäischer Ebene, der die Überwachungstätigkeiten der ‘Five Eyes’ und anderer Geheimdienste umfassend aufklärt
- Eine starke parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste
- Eine breite öffentliche Debatte über die Zukunft der Geheimdienste
- 10. Einen starken Whistleblowerschutz in Deutschland und weltweit
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